"Populismus"
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pro-re-publica.eu
von Dr. Christian Heinze vom 1.12.2018
(vollständige Überarbeitung der Fassungen vom 18.9., 24./25.11.2017, 24.4. und 1.12.2018)
Volksnähe ist eine notwendige
Art und Form des politischen und insbesondere des demokratischen
Diskurses, weil sie die inhaltsvolle (aktive sowohl als passive)
Beteiligung breiter Bevölkerungskreise an der Kommunikation überhaupt
erst ermöglicht. Sie sagt nichts aus über Wahrheit oder Irrtum, Nutzen
oder Schaden einer Botschaft oder über ihren Autor. Dennoch ist es
gegenwärtig Mode, Mitteilungen als "Populismus" oder "populistisch",
ihre Autoren als "Populisten" zu bezeichnen, um sie ohne
Auseinandersetzung mit Sachfragen pauschal als fehlerhaft oder
irreführend oder als "politisch inkorrekt" oder
schlimmeres zu diffamieren. Wer die Ausdrücke so gebraucht, versäumt
und blockiert die Ermittlung relevanter Tatsachen und die Analyse und
Bewertung diskussionsbedürftiger Gegenstände und verfehlt damit die
Voraussetzungen für Problemlösungen. Er gerät außerdem in Verdacht,
selbst irreführen oder verschleiern zu wollen. Ein solcher
Begriffsmissbrauch sollte daher aus der Diskussion verschwinden und
durch öffentliche, breite, sachliche und gründliche Erörterung von
Problemlösungen ersetzt werden.
Andreas Voßkuhle zum Thema Populismus
.
In der FAZ vom 23.11.2017 hat Professor Andreas Voßkuhle, der
Präsident des Bundesverfassungsgerichts, zum Thema „Demokratie und
Populismus“ Stellung genommen. Zu der wichtigsten Frage im Themenkreis,
wie mit „Populismus“ umzugehen sei, kommt er zu
ähnlichen Ergebnissen wie der nachstehende Beitrag: Jedenfalls
muss mit einzelnen politischen Forderungen gerade
auf heiklen Politikfeldern eine beständige argumentative
Auseinandersetzung stattfinden (unten Abschnitt 3.4), konkrete
Handlungsoptionen sind aufzuzeigen (ebenda: Mittel und Wege), schon weil
Etablierte, die das verweigern, ihrerseits Alleinvertretung beanspruchen
(sich selbst als „Populisten“ gerieren - siehe vorstehenden Vorspann),
und weil die Verweigerung Zuspruch für „Populisten“ eher steigert
(Abschn. 3.3, dritter Absatz).
Leidenschaftliche Rhetorik und Zuspitzung sind in Ordnung, schrille Töne,
persönliche Angriffe, Herablassung und Berufung auf Tabubrüche
sind ebenso fehl am Platz wie „Soziologische
Großdeutungen“ und "Kollektive Pathologisierung". Der größere
Teil des Artikels bemüht sich darüber hinaus, „Populismus“
als politisches Kampfwort gegen antidemokratische, zynisch
verschleierte Totalitarismus-Strategien zu etablieren. Ist das
aber mit den praktischen Schlussfolgerungen des Artikels vereinbar ?
Und kann damit solchen Strategien überhaupt entgegengewirkt werden ?
Dazu verhält sich der Anhang am Ende des vorliegenden
Webbeitrags.
Übersicht.
1 Volksnahe Kommunikationsform.
1.1 Gegenstände allgemeinen Interesses.
1.2 Inhalt populistischer Botschaften.
1.3 Autoren und Adressaten populistischer Botschaften.
1.4 Ausdrucksmittel und Verständnisweise.
1.5 Volksnähe.
1.5.1 Allgemeinverständlichkeit.
1.5.2 Gefälligkeit.
2 Qualität volksnaher Kommunikation.
2.1 Übermittlung von Inhalten, Unbestimmtheit.
2.2 Qualität von Inhalten.
2.3 Motivationskraft.
2.4 Ergebnis.
3 Die Populismus-Keule.
3.1 Politische Notwendigkeit von Populismus.
3.2 Irrtum und Missbrauch des Populismus.
3.3 Widersinnigkeit der Diffamierung von Populismus.
3.4 Problem-Bewältigung durch sachliche Diskussion.
4 Rückkehr zur Wortbedeutung.
1 Volksnahe Kommunikationsform
.
"Populismus" oder "populistisch" ist eine (nach dem Wortsinn von
"populus" - lateinisch: Volk) durch
Volksnähe
gekennzeichnete Art der Ausdrucks- sowie Empfangs- und
Verständnisweise von Botschaften allgemeinen Interesses.
1.1 Gegenstände allgemeinen Interesses
.
Das Allgemeine Interesse gilt der Infrastruktur der
individuellen und gemeinschaftlichen Entfaltung der Menschen
und in den Industriegesellschaften insbesondere der Organisation
und Entfaltung des Staates, und zwar mit Bezug auf
den Besitz, die Vermehrung und Verteilung materieller und
immaterieller, diesseitiger und transzendenter Güter aller Art
(der Teilhabe an ihnen). Das Interesse richtet sich auf alle
möglichen
Freiheiten und ihre Grenzen. Es betrifft den Schutz
der Menschen, ihres Besitzes und ihrer Freiheiten gegen
Gewalten der Natur, zu der auch die (anderen) Menschen gehören,
ebenso wie die Vermehrung und Verteilung von Besitz und
Macht und die Beschränkung von Freiheiten. Dabei betrifft das
allgemeine Interesse insbesondere
die Mittel und Wege (Organisation, Planung, Verhaltensweisen,
Beiträge) zur Schaffung, Veränderung oder Abschaffung von
Verhältnissen.
1.2 Inhalt populistischer Botschaften.
Die populistische Botschaft, auch selbst als "Populismus"
bezeichnet, enthält typischerweise
Bewertungen oder bewertende Darstellungen von
Gegenständen, auch Personen, insbesondere des Autors
selbst und seiner Gegner, sowie von Verhältnissen und
Verhaltensweisen meist politischen, aber auch
kulturellen oder zivilisatorischen Interesses. Sie betrifft
oft Pläne, Vorschläge und Versprechen mit Bezug auf solche
Gegenstände.
1.3 Autoren und Adressaten populistischer Botschaften.
Die populistische Botschaft geht von einem Autor oder
mehreren Autoren (Person, Gruppe oder Institution), aber auch
von ganzen Bevölkerungen aus und ist an eine oder mehrere
Personen bis hin zu ganzen Bevölkerungen als Adressaten gerichtet,
und sie wird von diesen wahrgenommen und
oft erwidert. Auch die Bemühung oder Fähigkeit, Botschaften der
Bevölkerung aufzunehmen und zu verstehen, ist Populismus.
Wer sich der volksnahen Ausdrucks- und
Verständnisweise, sei es im Einzelfall, vor allem aber dauerhaft
und häufig bedient, ist "Populist".
1.4 Ausdrucksmittel und Verständnisweise.
Die populistische Botschaft kann auf jede einen Sinn vermittelnde
Weise, meist durch gesprochene oder geschriebene Sprache oder
Zeichen, durch Haltung, Gestik oder Verhalten, durch Bilder
oder Laute vermittelt werden. Eine besondere, Volksnähe
ausdrückende Modalität betrifft die Unmittelbarkeit und Häufigkeit
der persönlichen Nähe (im Unterschied zu zeitlicher oder räumlicher
persönlicher Distanz und medialer Vermittlung). Als Ausdrucksmittel
und Vereständnisweise kommt die gesamte, durch Beschaffenheit
(Charakter), Fähigkeiten
(Kraft, Energie, Ausbildung), Herkunft (aus der Mitte des Volks
oder aus Prominenz jeder Art und Ursache), durch persönliche
Verhältnisse (die schöne Ehefrau oder wichtige Bekanntschaften,
das Vermögen im weitesten Sinne) oder
Lebensführung (Erlebnis, Leistung, Beliebtheit) oder durch
den Anschein derselben hervorgerufene Ausstrahlung des Autors
und des Adressaten in
Betracht. Die Persönlichkeit kann selbst zur Botschaft werden
(zB im Zuge der Inanspruchnahme von Führung).
1.5 Merkmale der Volksnähe.
Als Merkmal der Volksnähe einer populistischen Botschaft kommen
Arten, Formen oder Inhalte in Betracht.
1.5.1 Allgemeinverständlichkeit.
Volksnah ist eine Botschaft, die durch die Art und
Form ihrer
Ausdrucksweise von einem großen Publikum
bis hin zur gesamten Bevölkerung leicht verstanden wird.
Allgemeinverständlich ist eine Botschaft, die ihre Inhalte
unterschiedlichen und vor allem auch weniger oder weniger
differenziert denk-, kommunikations- und insbesondere sprachgeübten,
gebildeten und erfahrenen, emotional oder sinnlich empfindenden
Adressaten oder Adressatengruppen bis hin zu
Bevölkerungskreisen und ganzen Bevölkerungen mit möglichst ähnlichem
Ergebnis
zu verstehen gibt und verstanden wird. Danach hängt,
was Populismus ist, von der allgemein üblichen Ausdrucks- und
Verstehensweise und den allgemein üblichen Bewertungen von Botschaften
durch das Publikum, insbesondere durch die Allgemeinheit der Gruppe
oder Bevölkerung ab, innerhalb deren der Diskurs stattfindet.
Dazu muss sich volksnahe Ausdrucksweise
einfacher
Ausdrucksmittel und insbesondere einfacher Begriffe und Satzbauten
bedienen, und sie muss sich der - auch unterdurchschnittlich
differenzierten - dem gesamten jeweiligen Publikum gemeinsam
geläufigen (üblichen) Verständigungs- und Empfindungsweise und
insbesondere Umgangssprache anpassen und bedienen.
Bestimmte
Ausdrucksformen, die vielen Menschen erfahrungsgemäß
besser gefallen als andere (Musikalität, Bildhaftigkeit,
Emotionalität, Humor, Amblick und Haltung des Autors oder
Vermittlers, Volkstümlichkeit), können auch der Verständlichkeit
besser dienen als andere. Auch derartige
formelle
Gefälligkeit ist kann daher als Merkmal von Popularität
gelten.
1.5.2 Inhaltliche Gefälligkeit.
Als volksnah gelten Botschaften auch deshalb, weil sie
"populär" sind, indem sie nach ihrem
Inhalt
gefallen und im Publikum auf einhellige oder breite
Akzeptanz treffen. Das sind beispielsweise Botschaften, die
Erfüllung allgemeiner, von jedermann geteilten oder
akzeptierten Interessen (siehe zu 1.1) verheißen.
2 Qualität volksnaher Kommunikation
.
Kommunikation kann nach ihrer Eignung für ihren nächstliegenden
Zweck möglichst vollständiger Übermittlung von Inhalten oder
auf Grund Bewertung ihrer Inhalte sowie nach ihrer Eignung zur
Motivation des Adressaten zu einem Verhalten (Tun, Dulden,
Unterlassen) qualitativ unterschieden werden.
2.1 Übermittlung von Inhalten, Unbestimmtheit.
In dem Maße, in dem Allgemeinverständlichkeit durch Vereinfachung oder
Gefälligkeit der Ausdrucksweise erreicht wird, verliert sie regelmäßig
an Klarheit, Genauigkeit und inhaltlicher Aussagekraft und damit an
Informationsgehalt.
Zwar kommt es vor, dass volksnahe Ausdrucksweise konkrete Inhalte
besser vermittelt als ganze Bibliotheken. In aller Regel ist aber der
Grad der Mehrdeutigkeit umso höher, je kürzer (je weniger ausführlich)
und je weniger differenziert eine Botschaft ist. Er ist auch umso höher,
je unterschiedlicher die Ausdrucks- oder Verständnisweise des Publikums
oder der Autoren ist. Soll die Allgemeinheit erreicht werden, ist der
Grad der Einfachheit ferner davon abhängig, wie viel (wie wenig) Zeit und
Energie das Publikum auf die Kenntnisnahme und das Verständnis
voraussichtlich verwenden wird. Nicht selten steht der Grad der
Vereinfachung und Mehrdeutigkeit im umgekehrten Verhältnis zur
Wichtigkeit einer Botschaft, die mit höherer Komplexität der ihren
Gegenstand bildenden Probleme und mit größerer Vielfalt der
Voraussetzungen, Alternativen und Folgen der Nebenfolgen ihrer
Bewältigung verbunden ist.
In der
politischen Diskussion sind die
mehrdeutigen und irreführenden Ausdrucksweisen, deren sie sich zu
bedienen pflegt, Legion. Beliebt sind die Namen
von Ideologien wie "(Neo-)Liberalismus", "Nationalismus", "Rechts-" und
"Linksradikalismus oder -Populismus", bei deren Gebrauch regelmäßig so
getan wird, als hätten sie einen klaren politisch relevanten Inhalt,
während sie in Wirklichkeit unterschiedliche, sogar gegensätzliche
Auslegungen zulassen. Für die einen sind bestimmte Inhalte von Ideologien ein
Ideal, für andere das Übel schlechthin. Grundmuster für Unbestimmtheit
sind Ausdrücke wie "Gerechtigkeit" und "Gemeinwohl", auch "Freiheit".
Ihre denkbaren Inhalte sind so vielfältig,
dass die damit vom Publikum verbundenen Vorstellungen im einzelnen
Anwendungsfall miteinander meist kollidieren oder sich widersprechen.
Ein weiteres Beispiel ist der Terminus "(un)
sozial", der dem Wortsinn nach soviel wie "auf
die Gesellschaft" oder "das Gemeinwohl bezogen" bedeutet, aber im Lauf
der Zeit dem Bereich der Güterverteilung zugewiesen worden ist. Dort
wird der Ausdruck mit den unterschiedlichsten, gegensätzlichen
Vorstellungen über die Gerechtigkeit der Produktions-, Verteilungs- und
Umverteilungsvorgänge oder -Ergebnisse von Gütern und Leistungen
assoziiert. Als "sozial" wird von den einen regelmäßig erzwungenes,
von anderen grundsätzlich freiwilliges Geben und Nehmen von Gütern oder
Leistungen angesehen. Dabei wird typischerweise übersehen, dass es
jenseits von "Leistungen" der Natur und von Menschen kein Geben ohne
Nehmen geben kann, und manchmal wird "Geben" und "Nehmen" sogar vertauscht
oder verwechselt. Ähnlich verhält es sich mit Ausdrücken wie
"Menschenrechte" oder ("europäische" oder "deutsche")
"
Werte". Denn als
Menschenrechte werden sowohl subjektive Rechte, deren Durchsetzung
ihrem Träger staatlich garantiert wird, als auch "Rechte" verstanden,
die zwar als normiert gelten, aber nicht oder nicht einmal in der
Regel durchgesetzt werden können, sowie schließlich solche, die in
bloßen Forderungen oder Erfüllungsaussichten bestehen. Dabei ist der
Inhalt des einzelnen "Rechts" in allen drei Kategorien meist umstritten.
Auch was "
Werte"
sind und vor allem welchen Inhalt
sie haben, ist höchst umstritten, und selbst dort, wo sie mit einer
Staatsverfassung identifiziert werden, sind sie inhaltlich so ungewiss
wie die Anwendung und Auslegung der Verfassungen es selbst sind. Die
Liste in der Praxis beliebter Ausdrücke und Klauseln mit unbestimmten
Inhalte kann verlängert werden. Formeln wie "yes we can", "mit dem
Euro fällt Europa", "die Renten sind sicher", "mehr Demokratie"
klingen dem Publikum in den Ohren. Viele unbestimmte Ausdrücke prägen
die unter Politikern
beliebten Umverteilungsversprechen, die manchmal einfach das Blaue vom
Himmel zusagen und es meist sorgfältig vermeiden, die vielfältigen
Voraussetzungen, Implikationen und Folgen der Umverteiulung erkennbar
werden zu lassen.
Manchmal werden die vieldeutigen Ausdrücke in einem
Kontext
verwendet, der die Vielfalt ihrer möglichen Bedeutungen
zwar verringert, aber meist nicht aufhebt. Andererseits kann die
Mehrdeutigkeit einen Grad erreichen, bei dem die Botschaft alles oder
nichts bedeuten kann. Dann ist sie
inhaltsleer, aber
nicht volksnah.
Im
demokratischen Wahlwettbewerb betrifft eine
Botschaft insbesondere Qualitäten (Gesinnung, Zuverlässigkeit,
Fähigkeiten) ihres Autors; der
Autor wird selbst zur Botschaft
. Dann sind Einzelheiten von hohem Interesse, gerade auch
soweit die Bewertung oder Darstellung der Person nicht mit konkreten
Zielen, Mitteln und
Wegen verbunden sondern auf Schlüsse aus solchen Eigenschaften auf
die Zwecke und Ziele angewiesen ist, die von der Person zu erwarten
sind. Denn dann bleibt die Bestimmung der Ziele und/oder Mittel oder
Wege dieser Person überlassen, die sie auch unterlassen
oder unvollständig oder unterschiedlich (gegensätzlich) durchführen
kann mit der Folge, dass die vollständige Bedeutung der Botschaft
leicht verkannt und insbesondere irrig mit der Meinung des Adressaten
verwechselt werden kann. Inhaltsarmut der Personenbotschaft kann
leicht erreicht sein, etwa wenn sich eine Person mit der Botschaft
etwa des Inhalts zur Wahl stellt: "Ich bin die zur Führung am besten
geeignete Person und werde alles besser machen als andere", ohne dass
diese Person und Botschaft mit inhaltsvollen
Leistungen, die dem Anspruch entsprechen, oder mit Eigenschaften
verbunden werden kann, die solche Leistungen mit einiger
Wahrscheinlichkeit erwarten lassen. (Vgl.
die in dieser homepage enthaltene Glosse zur Nominierung von
Martin Schulz als
Kanzlerkandidat der SPD.)
Soweit eine politische Botschaft (wie in der Regel) ein
künftiges
Verhalten oder einen Plan, etwa Maßnahmen des Autors oder Anderer,
insbesondere im Fall ihrer Wahl in ein Amt, beschreibt und bewertet
(verspricht oder geißelt), ist das Interesse der Allgemeinheit neben
dem Zweck und Ziel vor allem darauf gerichtet,
ob, durch wen
und wie, mit welchen Mitteln sie erreichbar und welche
Nebenwirkungen ihrer Verfolgung zu erwarten sind. Aussagen zu diesen
Fragen sind durch die Unbestimmtheit der Zukunft notwendig selbst zu
Unbestimmtheit verurteilt.
Die oben angesprochen oder zitierten mehrdeutigen oder inhaltsarmen
Ausdrücke haben durchaus einen sinnvollen Platz im politischen
Diskurs, indem sie wichtige Fragestellungen enthalten. Sie bieten
jedoch keine zielführenden Antworten. Durch sie bestimmte
populistische Botschaften
zur Analyse oder Bewältigung
politischer Probleme unterliegen vielmehr,
gemessen an der
Eignung zur Übermittlung von Inhalten, einer Vermutung und
Wahrscheinlichkeit minderer Qualität.
Wird beispielsweise die Befriedigung bestimmter Interessen in Aussicht
gestellt, ohne dass zugleich die nachteiligen oder lästigen Voraussetzungen,
Mittel oder Wege der Realisierung oder zu erwartender Widerstände
erwähnt werden, kann das die Zustimmung zu einer zum Scheitern verurteilten
Politik herbeiführen. Die Mehrdeutigkeit oder Unvollständigkeit der
Botschaft erschwert die optimale Willensbildung der Bevölkerung und
beeinträchtigt damit in der Regel die ideale Funktion des Demokratieprinzips.
Die Erschwernis liegt in dem Bedarf einer zwischen der Aufnahme der
Botschaft und der Willensbildung erforderlichen Ergänzung und der
Gefahr, dass sie nicht stattfindet oder fehl geht.
2.2 Qualität von Inhalten.
Als
Maßstab für den Wert oder Unwert des Inhalts
einer Botschaft jenseits ihrer Bestimmtheit oder Unbestimmtheit kommt
in Betracht, inwieweit die Tatsachen, die sie enthält oder auf denen
sie beruht, wahr oder unwahr sind und inwieweit sie zutreffende oder
unzutreffende Schlussfolgerungen enthält oder auf solchen beruht, ob
sie alle für ihren Gegenstand relevanten Tatsachen- und logischen
Zusammenhänge berücksichtigt, ob die durch sie vermittelten Bewertungen,
Motive oder Verhaltensweisen das Gute oder das Böse, Echtes
oder Unechtes, das dem Allgemein- oder Einzelwohl wirklich Zuträgliche
oder Schädliche zutreffend benennen oder verwirklichen, ob oder wieweit
die Botschaft einen Maßstab zutreffend anwendet oder einem Zweck
wirklich entspricht oder wie der Maßstab oder Zweck selbst zu bewerten
ist. Als Bewertungsmaßgabe scheidet dagegen die gelegentlich zur
abschätzigen Bewertung von Ppopulismus herangezogene Kriterium
"politischer (Un)Korrektheit". Dieses Merkmal mag zur Ächtung
von Beleidigungen oder stilistischer Entgleisungen geeignet sein. Soll
es auf Inhalte bezogen werden, ist es als antidemokratische und
patriarchalisch-autoritär abzulehnen.
Gemessen an den genannten Qualitätsmerkmalen ist eine Botschaft, ohne
Rücksicht auf ihre Verständlichkeit oder Gefälligkeit, je mehr
falsche Informationen über Tatsachen oder je mehr
logisch eindeutig
fehlerhafte Schlussfolgerungen sie
enthält oder je mehr sie auf solchen Informationen oder
Schlussfolgerungen
beruht, umso weniger wert. Bei der mehrdeutigen Botschaft ist dieser
Mangel reduziert, wenn und soweit als sie dahingehend
ausgelegt
werden kann, dass sie wahr, richtig, nützlich, gut etc.ist
oder sofern sie auf Grund
des erst später gebildeten Volkswillens jedenfalls Geltung erlangt.
Zwar dient die
Meinung einer Mehrheit des Volks nach
dem Grundgedanken der
Demokratie (griechisch "demos" und lateinisch
"populus" bedeuten dasselbe) als Grundlage politischer Entscheidungen
dem Allgemeinwohl auch unter angemessener Berücksichtigung des
Einzelwohls oder auch eines Vorrangs des Einzelwohls am besten. Dabei
kommt in der politischen Wirklichkeit der
Industriegesellschaften als personelle Grundlage des demokratischen
Gedankens nicht
mehr nur ein "Volk" im ethnisch geprägten Sinn, sondern auch die
Bevölkerung eines Staates in Betracht, die durch ein gewisses Maß an
Integration in den Staat geprägt ist und als
Staatsvolk
bezeichnet wird. Dennoch kann die im Einzelfall herrschende
Mehrheitsmeinung nicht wegen ihrer Volksnähe als inhaltlich besonderes
qualifiziert gelten. Und das schon deshalb nicht, weil mehrdeutige
Ausdrücke Adressaten Gelegenheit zur Auswahl derjenigen
Verständnis-Alternative einer Botschaft geben, die ihren Interessen
nach ihrer
Meinung am besten zu entsprechen scheint, während andere eine zu dieser
Alternative in Gegensatz stehende Auswahl treffen. Vor allem gilt der
erwähnte demokratische Grundgedanke nur für förmlich (nämlich
mindestens durch Akklamation)
getroffene Mehrheitsentscheidungen, während die Eigenart einer
Botschaft als "populistisch" vorwiegend in dem einer solchen Entscheidung
vorangehenden Vorfeld der Meinungsbildung eine Rolle spielt. Bis zur
förmlichen Entscheidung ist gerade offen und Gegenstand der
Auseinandersetzung, ob Bewertungen oder Darstellungen richtig oder
unrichtig, dem Allgemein- oder Einzelwohl dienlich oder schädlich sind.
Selbst nach der förmlichen Entscheidung bleibt das offen, denn der
Grundgedanke der Demokratie gilt nur für eine Gesamtheit im Laufe der Zeit
getroffener Entscheidungen. Die Möglichkeit des
Irrtums einer
konkreten Einzelfallentscheidung schließt er nicht aus. Selbst
wenn die Botschaft der (noch nicht förmlich beschlossenen aber tatsächlich
gegebenen) Mehrheitsmeinung vollkommen entspricht, kann mithin ihre
Eigenschaft als "populistisch" (als allgemein gefällig) die Autorität
einer Volksentscheidung nicht in Anspruch nehmen. Vielmehr trifft den
"Populisten", der eine womöglich irrige Volksmeinung wider besseres
Wissen unterstützt, der Vorwurf einer Verletzung der auf seinem besseren
Wissen beruhenden Obliegenheit zur Führung, auf die auch Demokratie
angewiesen ist.
Als Ergebnis ist Volksnähe mit wahren und unwahren, richtigen und
falschen usw. Inhalten vereinbar. Allgemeinverständlicher oder gefälliger
Darstellung sind Botschaften jeden Inhalts ohne Rücksicht auf dessen
Wert zugänglich. Von ihrer Mehrdeutigkeit abgesehen begründet
das Merkmal der Volksnähe
keine Tendenz oder Vermutung für eine
mindere Qualität der Inhalte einer Botschaft.
2.3 Motivationskraft.
Über die Vermittlung von Inhalten hinaus kommt der volksnahen Botschaft
Bedeutung für die Meinungs- und Willensbildung und das Verhalten (Tun,
Dulden, Unterlassen) der Adressaten zu. Trifft Verkürzung und Verunklärung
sowie Gefälligkeit von Vorschlägen oder Aufforderungen auf Bereitschaften
und Wünsche, deren Gegenstand der Adressat in seinen Ursachen, Bedingungen
und Folgen wenig durchdacht hat, so ist volksnahe Ausdrucksweise dank
ihrer Mehrdeutigkeit insbesondere unter Mithilfe von Emotionen besonders
geeignet, den Willen und die Motive vieler Adressaten auf dasselbe
Ergebnis (Tun, Dulden, Unterlassen) zu lenken, auch wenn sie sich bei
einer der mehreren möglichen Auslegungen als gegenläufig oder unvereinbar
erweisen. Volksnähe zeichnet sich durch hohe aber inhaltlich wenig
bestimmte Motivationskraft
aus. Das gilt besonders dann, wenn es nicht um die Herbeiführung von
Entscheidungen oder um die Durchführung von Maßnahmen sondern um die
Herbeiführung der Ermächtigung von Personen zu solchen Maßnahmen, um
die Herbeiführung ihrer Einsetzung in Führerpositionen geht.
Die durch Motivationskraft vermittelte Qualität volksnaher Botschaften
ist
von ihrer inhaltlichen Qualität unabhängig. Sie
kommt in gleicher Weise
Botschaften mit wahren oder unwahren, guten oder schlechten usw. Inhalten
2.4 Ergebnis
.
Diese mit Unbestimmtheit verbundene Gefahr und Verfehlung ist
jedoch vermeidbar und rechtfertigt es daher nicht, die Begriffe "Populismus"
und "populistisch" allgemein und pauschal als Schimpfworte zu verwenden.
Ein Mangel an Eindeutigkeit ist keine mit Volkstümlichkeit
notwendig verbundene Eigenschaft. Nicht selten bezeichnet im Gegenteil
der
richtige volkstümlicher Ausdruck seinen Gegenstand genauer als ganze
wissenschaftliche Aufsätze. Manchmal erfordert der zugleich
volkstümliche und genaue und inhaltsvolle Ausdruck zwar erhöhte
Sorgfalt oder einen erhöhten Aufwand an Ausdrucksmitteln oder
volkstümlicher, vertiefter Begründung und ausführlicher Erläuterung und
damit einen erhöhten Zeitaufwand. Komplexität ist demgegenüber nur
eine Ausrede. Je einfacher die einzuelnen, eine ausführliche Botschaft
ausmachenden Ausdrücke sind, umso klarer ist das Verständnis auch
komplexer Gegenstände beim
Adressaten. Letztendlich gibt es nichts, was nicht ebenso genau wie
volkstümlich ausgedrückt werden kann.
Populismus kann wie jede nicht populistische Botschaft Irrtum oder
Schaden anrichten, Erkenntnis oder Wohlstand fördern. Populismus
kann durch Verallgemeinerung oder Gefälligkeit gekennzeichnet sein,
ist aber nicht notwendig mit ihnen verbunden. Auch mit
mehrdeutigen Begriffen kann der Populist richtiges oder falsches,
gutes oder ungutes zum Ausdruck bringen oder bewirken. Und Demagogie
oder üble Ziele sind nicht auf allgemeinverständliche oder gefällige
Ausdrucksweisen angewiesen.
Als Ergebnis ist festzuhalten: Die regelmäßige Gefälligkeit oder
relative
Unbestimmtheit volksnahen Diskurses
begründet eine
Vermutung für seine mindere Qualität gegenüber einer gründlichen
und ausführlichen Erörterung. Als
Beigeschmack
ist die
Irrtums- und Missbrauchsgefahr daher mit
den Begriffen "Populismus" und "populistisch" unvermeidlich
verbunden. Diese Bewertung
betrifft allerdings in erster Linie die Funktion von Botschaften
als
Antworten auf Fragestellungen und als
Beschreibung von Problemlösungen und weniger die Funktion als
Fragestellung und
Beschreibung von Problemen. Zur Erinnerung an politische Probleme
sind auch mehrdeutige Ausdrücke umso geeigneter, je weniger
Adressaten mit ihrem Gegenstand vertraut sind und je weniger
dieser bereits bewährte Lösungen enthält. Es lässt sich aber nicht
ausmachen, dass populistische Botschaften über Inhaltsarmut
hinaus grundsätzlich
minderwertig wären. Ähnlich wie die Schärfe eines Messers
dem Metzger zustatten kommt aber auch die Gefahr von
Verletzungen erhöht, sind
Volksnähe und Gefälligkeit
Eigenschaften, die mit jeder positiven oder negativen
inhaltlichen Qualität einer Botschaft verbunden
sein können.
3 Die Populismus-Keule
.
Obwohl ihr Wortsinn das nach den vorhergehenden Ausführungen nicht
rechtfertigt, werden die Begriffe "Populismus", "populistisch" und
"Populist" im gegenwärtigen Sprachgebrauch meist ohne nähere
Differenzierung oder Begründung im Sinne einer
Ablehnung
oder Diffamierung einer Botschaft oder einer Person oder
Personengruppe gebraucht. Anklänge für eine
bewertende Bedeutung finden sich sogar im "Duden", der
Populismus mit "Opportunismus" und "Demagogie" assoziiert
(http://www.duden.de/rechtschreibung/Populismus,
abgerufen 08 24 2017). Manchmal werden die Begriffe geradezu als
Schimpfwort benutzt. Damit sollen Botschaften als unzutreffend,
ungut, unzweckmäßig, ungültig, mehrdeutig oder irreführend sowie als
vorwerfbar unzulässig, schädlich, verwerflich dargestellt und ihre
Autoren oder Vertreter (Personen, Gruppen oder Institutionen)
gebrandmarkt werden.
3.1 Politische Notwendigkeit von Populismus.
Für die Verwirklichung des Gemein- und Einzelwohls ist eine
inhaltlich klare Verständigung der Bevölkerung untereinander und
mit ihren Repräsentanten und Organträgern und insbesondere den
staatlichen Instanzen, aber auch mit anderen Völkern von hohem
Wert, wenn nicht unentbehrlich. Andererseits dient Volksnähe
der Realisierung jeglicher zumindest auf
Verstehen wenn nicht auf
Sympathie,
Zustimmung oder Mitwirkung der Bevölkerung
angewiesenen Politik. Demokratie ist durch Volksnähe
der politischen Kommunikation geradezu definiert, nur mit ihrer
Hilfe kann die demokratische Idee einer durch den Volkswillen
legitimierte Bildung und Durchführung politischer Entscheidungen
verwirklicht werden. Um einen großen Kreis zu
erreichen, bedarf es einer gewissen Einfachheit. Der
Verständnishorizont und der für Kommunikation zur Verfügung
stehende Zeitraum lassen nur eine umso stärker vereinfachte
Darstellung und Bewertung des Gegenstandes der Kommunikation
zu, je komplexer dieser strukturiert ist. Gerade auch für das
Allgemein- und Einzelwohl besonderes wichtige Botschaft
entziehen sich im politischen Diskurs einer vollständigen
Darstellung aller Einzelheiten. Vom sachlichen Inhalt her
sind
Vereinfachungen auch insoweit
unvermeidbar, als
politische Botschaften - wie in der Regel - hypothetische
Darstellungen zukünftiger Verhältnisse betreffen, die ebenso
wie ihre Bewertungen zumindest auch von unvorhersehbaren
Verhältnissen abhängen.
Die Unmöglichkeit, politische Probleme oder Lösungen massenhaft
in aller Differenziertheit zu erörtern, erhöht die Gefahr von
Irrtum und Irreführung. Vermehrt wird sie, soweit sich eine
sprichwörtlich gewordene Neigung der Bevölkerung zur
Sebsttäuschung oder zur Zulassung der Täuschung im politischen
Diskurs verbreitet ("mundus vult decipi"- vgl. den Beitrag
dieser homepage mit Bezug auf sogenannte
"
Fake News").
Eingedämmt wird sie im demokratischen Gemeinwesen durch
Bemühungen des Publikums um Kenntnis und
Verständnis anstehender Probleme und der Möglichkeiten zu ihrer
Bewältigung und durch die Anforderungen, die sich daraus an
an die Gründlichkeit politischer Botschaften entwickeln. Starke
Bemühungen und Anforderungen dieser Art liegen nahe, soweit
politische Themen für das Wohlergehen der Einzelnen und der
Allgemeinheit ebenso wichtig sind wie bestimmte medizinische
oder die Umweltpflege betreffende Themen.
Populismus ist mithin, unabhängig von der Staatsform, aber
besonders im demokratischen Gemeinwesen, und trotz seiner
Defizite an Informations- und Bewertungstransfer, eine
notwendige Art und Form des politischen Diskurses, und
Populisten sind seine idealen
Autoren oder Vermittler. Führung und Führungserfolg setzen
Verständlichkeit und Verständnis von Botschaften durch Führende
und Geführte und mithin im politischen Bereich Populismus voraus.
Für die Funktion einer Demokratie kommt es dabei auf das
Verhältnis der Höhe inhaltlicher Qualität zu derjenigen des
Verständnisses und der Teilnahme (des Interesses) der Bevölkerung
an. Ein Übermaß an Populismus ist geeignet, diese Teilnahme und
dieses Interesse zun verringern und dadurch die Funktion der
Demokratie zu beeinträchtigen.
3.2 Irrtum und Missbrauch des Populismus
.
In der Wirklichkeit des politischen Diskurses bedienen sich sowohl
Erklärung, Erleuchtung, Belehrung als auch Irrtum, Lüge und
Täuschung, sowohl Führung als auch Demagogie (Verführung
der Bevölkerung) populistischer Botschaften. Irreführung kann dabei
auf
Bequemlichkeit bei der Bildung der Ausdrucksweise zurückgehen. Aber
volkstümlich-einfache Ausdrucksweise kann auch
fahrlässig oder vorsätzlich eingesetzt werden, um den Beifall der
Bevölkerung für eine in Wirklichkeit schädliche, weil irrige oder
unzweckmäßige Darstellung oder Bewertung zu gewinnen oder mittels
Schmeichelei und Liebedienerei unbegründete Selbstzufriedenheit oder
Träumerei zu erzeugen. Es ist zu erwarten, dass ein Autor
Botschaften so zu gestalten sucht, dass sie
am besten geeignet
sind, die angestrebten Zwecke und Ziele zu erreichen.
Deshalb ist auch zu erwarten, dass der Autor von der Chance Gebrauch
macht, durch mehr oder weniger unbekümmerte oder absichtliche
Irreführung und insbesondere Mehrdeutigkeit seiner Botschaft die
Vorstellung zu erwecken, dass das Verhalten der
Adressaten dem Allgemeinwohl oder den Interessen der Adressaten
am besten entspricht, auch dieses Ergebnis nicht gesichert ist.
Inkaufnahme von Irreführung oder Irreführungsversuche werden sich
an einer Einschätzung des
Verständnisses und des zu erwartenden Bemühens des Publikums um
Verständnis von Bedeutungorientieren. Nicht näher erläuterte
mehrdeutige Ausdrücke sind besonders geeignet,
einen Sachverhalt oder seine Bedeutung zu verschleiern, etwas zu
suggerieren (zum Beispiel einfache - aber in Wirklichkeit
untaugliche - Lösungen für komplizierte Probleme), Illusionen zu
erzeugen und sogar den Anschein zu erwecken, entgegengesetzten
Interessen werde in gleicher Weise entgegengekommen.
Ähnliches gilt für die Ansprache von
Emotionen
etwa durch populistische "flotte, freche, kecke
Sprüche, ... politische Clownerei und Scharfmacherei
(
Matthias Heitmann, in Cicero 2. April 2017).
Aus der Vielfalt der Gegenstände öffentlichen Interessen und der
qualitativ und quantitativ begrenzen Kapazität eines breiten
Publikums für die Aufnahme, gedankliche Verarbeitung und Umsetzung
einschlägiger Botschaften in eine Meinung oder ein Verhalten
ergeben sich Schranken für die Differenziertheit eines breiten
politischen Diskurses. Dieser muss sich mit Verweisung auf
anderweitige Erläuterungen oder auf Vertrauen in den Autor
behelfen. Der resultierende Bedarf an Einfachheit und Gefälligkeit
politischer Botschaften erleichtert die Verbindung von Volksnähe mit
Irrtum, Täuschung und Verführung eher als gründliche, ausführliche
Botschaften. Aber einfache Botschaften können ebensowohl richtig
sein, wie auch Gründlichkeit und Ausführlichkeit subtiler
Rafinesse geeignete Ansatzmöglichkeiten für Täuschung und
Verführung bieten.
In der Regel wird Gründlichkeit, Wahrhaftigkeit und
Redlichkeit am ehesten zu guten Ergebnissen führen. Von
daher stellt sich Irrtum als
Mangel und
Irreführung als
Missbrauch der populistischen Art
und Form dar. Es ist aber auch
nicht auszuschließen
, dass eine zur Irreführung geeignete oder bewusst
irreführende Botschaft im Einzelfall besser als Wahrheit und
insbesondere als ganze Wahrheit zu einem
dem Allgemein-
oder Einzelwohl in Wirklichkeit durchaus
dienlichen Denken oder Verhalten führt. (Daher ist der
berühmte Satz von
Carl Schmitt: "wer 'Gemeinwohl' sagt,
will betrügen" eine - pädagogiscvhe - Übertreibung). So wie es den
Geist gibt, der das Gute will aber das Böse schafft, gibt es auch
den Geist, der das Böse will und dennoch das Gute schafft.
Populismus steht beiden gut an.
3.3 Widersinnigkeit der Diffamierung von Populismus.
Motto: "Gott ist parteiisch. Und zwar für die Armen. Das
ist doch populistisch" (NZZ 20.10.2020 S. 26)
Durch Denunziation einer Botschaft oder ihres Autors als
"populistisch" oder "Populist" wird unterstellt, dass durch eine
Politik oder eine Person Irreführung oder Schaden droht
. Die Unterstellung wird auf die Spitze getrieben, soweit
sie zugleich besagt, dass das Gegenteil der Botschaft gut und richtig
ist (vgl. Lübbe-Wolff FAZ 2018 01 06). Mit dieser Unterstellung
allein ist aber ein Bezug auf
Wahrheit, Richtigkeit, Wohl der Allgemeinheit der Einzelner noch
nicht einmal nahegelegt geschweige denn gesichert. Denn die
Denunziation unterliegt selbst der Möglichkeit des Irrtums oder.
der Irreführung. Das gilt besonders für das logisch nur beschränkt
zulässige argumentum e contrario.
Der diffamierende Gebrauch der Begriffe "Populismus" und "populistisch"
ist seinerseits durch Unbestimmtheit oder
Widersprüchlichkeit gekennzeichnet und oft irrationalen,
emotionalen Ursprungs. Soll mit den Ausdrücken "Populismus" und
"populistisch" Ablehnung bekundet werden, ohne dass
zugleich die der Ablehnung zugrundeliegenden Tatsachen oder
Schlussfolgerungen und gegebenenfalls Alternativen gründlich beschrieben
und Maßgaben benannt oder entwickelt sowie die Ablehnung überzeugend
begründet wird, so dient der diskriminierende Gebrauch der Ausdrücke
als Populismuskeule der Vermeidung oder aktiven Blockade
notwendiger Recherche,
Analyse und sachlicher Auseinandersetzung. An die Stelle einer
freilich mühsamen, aber dem Gemeinwohl oder den Interessen der
Kontrahenten dienenden oder zumindest mit diesen vereinbaren rationalen
Meinungs- und Willensbildung tritt der Einsatz von Charisma, Anmaßung,
Ängsten und/oder eine Aufblähung von Ressentiments,
Wut und anderen Emotionen. Das schadet der
Erkenntnis und Problembewältigung jedenfalls mehr als der beschimpfte
"Populismus" und begründet den Vorwurf eigentlicher oder zusätzlicher
Irreführung an die Adresse des Denunzianten. Letztlich richtet
sich die nicht näher oder etwa mit untauglichen Kriterien wie
"politische (Un)Korrektheit" erläuterte Beschimpfung als "Populismus"
gegen alles, was und die mit der (gegebenenfalls unbekannten) Meinung
des Beschimpfers nicht vereinbar ist. Ohne ausführliche Spezifikation
und Begründung fällt der beabsichtigte Schimpf des "Populismus"
als Vorwurf der Unbestimmtheit, der eigenen Konzept- oder Hilflosigkeit
sowie Gedankenarmut oder der Irreführungsabsicht auf den Beschimpfer
selbst und seine Beifallspender zurück.
Mit der Verbindung der Ausdrücke "Populismus" und "populistisch"
mit einer abschätzingen Bewertung stellt der Denunziant die Geltung
des demokratischen Prinzips infrage oder verweigert
seine Anwendung. Denn dieses Prinzip setzt
sachliche, vernünftige und möglichst gründliche und damit volksnahe
Auseinandersetzung mit anstehenden Problemen
oder Wahlen voraus. Eine nicht anders als mit seiner Volksnähe
begründete Diffamierung von Populismus unterstellt, dass sich die
Adressaten nicht der Mühe kritischer Diskussion unterziehen wollen,
und baut damit auf deren Selbstentmündigung, die in der Tat
Demokratie ausschließen würde. Das ist es
wohl, was Barbara Kuchler in ihrem Beitrag „Populismus,
was ist das eigentlich ?“ in der FAZ vom 17.6.2017 als zu Recht
schlecht beleumundeten Kunstgriff bezeichnet hat, "aus Abfällen des
demokratischen Prozesses Energie zu ziehen". Denunziation von
Populismus ist allenfalls sinnvoll als Ergebnis einer
sachlichen, wohlbegründeten Berichtigung.
Ohne diese liegt sogar nahe, dass die Diffamierung Reklamewirkung
zugunsten des zu kritisierenden Populismus hat. (Vgl. dazu den Beitrag
"Fake News")
Populismus ist legitime politische Praxis gerade auch in
demokratischen Gemeinwesen, wenn und soweit gründliche sachliche
Argumentation aus Gründen, die in den Bedingungen einer konkreten
Diskussion liegen, im Einzelfall tatschlich nicht möglich ist. Es
gibt Unterschiede der Häufigkeit oder
des Grades der Bedenkenlosigkeit des Verzichts auf Anstrengungen
zur inhaltlichen Vertiefung, aber Populismus ist auch diesseits
jener Unmöglichkeit gängige Praxis aller Parteien
der gegenwärtigen politischen Szene. Es ändert
wenig, wenn im Wettbewerb der Populisten Begriffe gebraucht werden,
unter denen der Beschimpfer, der Beschimpfte und das Publikum
jeweils etwas anderes und sogar gegensätzliches verstehen. Nicht
selten entsteht ein bunter Strauß von Beschimpfungen und
Gegenbeschimpfungen, deren Gegenstand auf diese Weise verdeckt
anstatt geklärt, geschweige denn bewältigt wird. Zusätzlich
beanspruchen gerade die etablierteren Parteien das Monopol auf den
Einsatz der Populismuskeule.
Ein aktuelles Beispiele für irreführenden Populismus der deutschen
Regierungspartei bietet
die öffentliche Auseinandersetzung um die ohne ausreichende Planung
und Regulierung zugelassene, noch dazu gesetzwidrige Massenimmigration
nach Deutschland (dazu die Beiträge zur
Migration nach Europa und zum Problem von
Migration und Staatlichkeit).
Mit der zu Beginn dieser "Willkommenskultur" zu ihrer Begründung
verwendete, moralisch auf den Bedarf an Nothilfe bezogenen Formel
"wir schaffen das" wurde über die Notwendigkeit gründlicher Erwägung
und öffentlichen Erörterung der vielfältigen Voraussetzungen sowie
schwerwiegenden Haupt- und Nebenfolgen dieser Kultur hinweggetäuscht.
Die Handhabung der Populismuskeule bringt unabhängig von ihrer
womöglich im Einzelfall tieferen Berechtigung die Geringschätzung
einer Diskussion und der Meinungsfreiheit und/oder der Meinung
der Adressaten und gegebenenfalls der ganzen Bevölkerung ein,
etwa indem Populist und Denunziant gleichermaßen fraglose
Autorität in Anspruch nehmen oder zum Ausdruck bringen, dass
sie das Publikum einer Erläuterung nicht für wert halten. Sie
wird von Autoren aller politischen Lager angewendet.
3.4 Problem-Bewältigung durch sachliche Diskussion
.
Die einzig zielführende Art der Reaktion auf Botschaften, die mit der
Populismuskeule angegriffen zu werden pflegen, besteht in ihrer
rationalen Widerlegung oder Bestätigung. Beides
geschieht durch überzeugende Entwicklung, Diskussion und
Darstellung der Maßstäbe, an denen die populistische Aussage zu
messen ist, und der ihrer Anwendung zugrundezulegenden Tatsachen,
sowie durch eine möglichst zwingende Begründung der Ablehnung oder
Bestätigung an Hand dieser Tatsachen und Maßgaben.
Kritik und Widerlegung oder Bestätigung ist
Aufgabe aller
Adressaten und auch betroffener Dritter, insbesondere
Aufgabe den Namen verdienender Demokraten, und unter ihnen umso mehr
derjenigen, die über
präsentes (Fach-)Wissen und erprobte Urteilskraft verfügen oder
sogar eine besondere Verantwortung für zutreffende Berichterstattung
oder Beratung der Bevölkerung haben. Geht es um die richtige Politik,
müssen Ross und Reiter sowie Mittel und Wege benannt und beschrieben
werden.
4 Rückkehr zur Wortbedeutung
.
Begriffe sind Zweckschöpfungen (vgl. das Stichwort "Begriff" im
kritischen
Wörterbuch dieser homepage). Die
Ausdrücke "Populismus",
"populistisch" oder "Populist" erweisen sich nach
Vorstehendem als
ungeeignet zur inhaltlichen Bewertung von
Aussagen oder der Träger oder Vertreter von Meinungen. Ihr
Gebrauch zum Zweck inhaltlicher Bewertung lenkt vielmehr
von der nützlichen Funktion der Ausdrücke ab, eine
Ausdrucksart (nämlich diejenige der Volksnähe) von anderen zu
unterscheiden. Der
inhaltsbezogene Gebrauch des Begriffs "Populismus" verdeckt Probleme
oder stiftet sogar Verwirrung, statt zu ihrer Lösung beizutragen, er
diskreditiert vernünftiges Denken und Argumentieren und verschwendet
geistige Energie. Er beschädigt darüber hinaus die politische
Verständigung, gerade auch dort wo er scheinbare Einigkeit feiert.
Statt untauglicher Versuche, sie mit Bewertungen zu belasten,
empfiehlt es sich, die Begriffe "Populismus" und
"populistisch" auf die Bezeichnung einer volkstümlichen, volksnahen
Ausdrucksweise zu beschränken. Denn sie dienen dann der
Benennung und bedeutsamen Unterscheidung verschiedener Arten insbesondere
öffentlicher Kommunikation von Gegenständen allgemeinen Interesses.
Stellungnahme zum Aufsatz von Andreas
Voßkuhle „Demokratie und Populismus“ (FAZ 23.11.2017)
.
1
Andreas Voßkuhle möchte „Populismus“ als
politisches
Kampfwort etablieren. Der vorstehende Beitrag plädiert für
das Gegenteil, nämlich dafür, darunter nichts als „Volkstümlichkeit“
zu verstehen und den Ausdruck in der Politik durch sachliche
Auseinandersetzungen zu ersetzen. In der Frage, wie dem Phänomen zu
begegnen ist, dem das Schimpf- oder Kampfwort gilt, stimmen die
Beiträge weitgehend überein. Nicht so in der dem Ausdruck
zuzuweisenden Bedeutung. Die Abweichungen werden im folgenden
diskutiert.
Um dem Kampfwort eine Richtung zu geben, definiert es Voßkuhle als
„bestimmte
Strategie zum Erwerb und Erhalt politischer
Herrschaft, die mit nahezu jeder inhaltlichen Ausrichtung
kombiniert werden kann“. Aber mit diesem Inhalt taugt es nicht als
Kampfwort, denn dann gilt es so gut wie für jede Politik, jeden
Politiker. Deshalb Ordnet ihm Voßkuhle Charakteristika zu, die ein
ideologisches Minimum ausmachen, um die Strategie
und die Herrschaft näher zu erläutern. Und zwar durch
Charakteristika, die Populismus negativ, als etwas zu bekämpfendes
bewerten (und daher im Wahlkampf leicht in Beschimpfung umschlagen
können).
2
Das erste Charakteristikum ist der dem Populisten unterstellte
Alleinvertretungsanspruch, der eine
antipluralistischer und antidemokratischer Stoßrichtung hat und
sich auf
Usurpation des alleinigen Wissens um den wahren
Volkswillen gründet. Aber müssen nicht Wahlbewerber in
einer Demokratie immer ein Wissen oder jedenfalls eine Meinung
geltend machen, die sie entweder für den Volkswillen oder für
wert halten, dass sie sich der Volkswille zu eigen macht ?
3
Ein weiteres Charakteristikum des Populisten sei seine Behauptung,
er kenne die
Wahrheit, die sich jeweils im Besitz
des Volkes befinde und die deshalb
keiner Rechtfertigung
bedürfe. Aber geht es nicht in der politischen
Propaganda mehr darum, was gelten soll, als um Wahrheit ? Wahrheit
spielt nur insofern herein, als Wertschätzung für Demokratie davon
ausgeht, dass die Mehrheit am ehesten erkennt, was am besten
gelten sollte und insofern wahr ist. Und ist es nicht ein Mangel
unserer real existierenden Demokratie, dass es allenthalben an der
Bereitschaft der Politiker, ihrer Organisationen, und sogar mancher
Staatsorgane fehlt, ihre Meinungen, Wahlpropaganda, Forderungen,
Entscheidungen und
Anordnungen genügend breit und tief unter Berücksichtigung aller
Kollateralien zu spezifizieren und zu begründen ?
4
Ferner sieht Voßkuhle ein Charakteristikum des Populismus in
dessen Verschlossenheit gegenüber Mitwirkungsrechten anderer
und für Kompromiss und in ihrer Abneigung gegen Loyalität
gegenüber der Mehrheit. Nun kann Wahlbewerbung, die Erfolg
haben will, ein Projekt nicht von vornherein mit inniger
Kompromissbereitschaft und Loyalitätsversprechen gegenüber
anderen Meinungen garnieren. Und schließlich zwingt die
Verfassung jedermann zu Kompromiss und Loyalität der Mehrheit
gegenüber.
5
Ist der Anspruch auf Repräsentation, auf überlegenes Wissen,
auf Führung, ist
Vorformulierung des „vermeintlichen“
Auftrags des Volkswillens wirklich, wie Voßkuhle
andeutet, ein Kennzeichen des Populisten ? Demokratie kann
nicht grundsätzlich Vorformulierung der Politik durch das
Volk erwarten, Politiken werden dem Volk vielmehr in der Regel
vorgeschlagen, und zwar hoffentlich auf Grund
überlegenen Wissens und Überzeugung und nicht gegen besseres
Wissen. Ein solcher Vorschlag ist Kern jeder Führerschaft,
die schließlich das Ergebnis der Zustimmung des Volks auch
repräsentieren will.
Parlamentarismus, gegen den sich Populismus nach der Auffassung
Voßkuhles wendet, beschränkt nicht die Volkswillensbildung
auf das Parlament. Parlamentarismus beginnt vielmehr erst
nach der Wahl. Schon vorher muss der Wählerwille gebildet
und zu diesem Zweck vorformuliert werden.
Der ebenfalls dem Populismus als Merkmal zugeschriebene
und im Aufsatz von Voßkuhle wohl negativ bewertete Top-down
Regierungsstil entspricht der Kompetenz gewählter Organe,
bottom-up gilt dagegen hauptsächlich vor der Wahl.
6
Der
Abgeordnete - und der Wahlbewerber stellt
sich als künftiger Abgeordneter vor - ist nicht nur frei, er
ist nach Art. 38 Abs.1 Satz 2 GG auch verpflichtet, das
ganze Volk zu vertreten. Dazu muss er sich
ein Bild von dessen Willen machen, zumindest aber davon, was
es wollen würde, wenn es vor eine konkrete Frage gestellt
würde, und er muss sich mit dem Ergebnis identifizieren, um
seiner Gewissenspflicht zu genügen. Die Anforderung ist nicht
weit von der Frage entfernt, was das Volk wollen sollte (und,
weil es eine gewisse Gewähr für Richtigkeit bietet,
voraussichtlich auch tatsächlich will). Spätestens hier kommt
das Gewissen des Abgeordneten zum Zuge.
Der verfassungsmäßig gebotene Fraktionspluralismus mit seiner
Freiheit von Fraktionszwang oder Bindung an eine
Basismeinung, den Populismus in der Sicht Voßkuhles eher ablehnt,
ist in der real existierenden Demokratie ein Problem auch für
die aller-etabliertesten Parteien.
7
Mit Denunzierung, Designation des Meinungsgegners zum Feind,
Bekämpfung und Kontrolle von Widerrede und oppositionellem
Verhalten, mit dem Ziel der Besetzung aller Ämter und
Richterstellen im Fall eines Wahlsiegs stellt sich Populismus
in der Perzeption Voßkuhles
gegen Meinungs-, Presse-,
Informations- und Rundfunkfreiheit, gegen das grundgesetzliche
Recht auf effektive Opposition, gegen ergebnisoffenen
Wettbewerb, gegen Checks und Balances und Gewaltenteilung
. Die Tendenz zu dergleichen ist allerdings in allen
real existierenden Parteien vorhanden und tatsächlich
erheblich allgemein spürbar wirksam. Sie findet für alle seine
Grenze an gesetzlichen Ge- und Verboten. Deren Einhaltung ist
eine Frage gleichmäßigen und wirksamen Vollzugs.
8
Im einzelnen:
Der Ausdruck „Populismus“ wird bereits weit überwiegend als
Schimpfwort gebraucht. Alle im Beitrag vom
September dagegen vorgebrachten Gründe sprechen auch gegen
seine Inanspruchnahme als Kampfbegriff.
Die Forderung Voßkuhles, dass
Rechtsverstöße
sanktioniert werden müssen, muss selbstverständlich
für alle Politiker gelten. Und selbstverständlich müssen alle
antidemokratischen Projekte und politischen Bestrebungen, die
mit der - sei es verschleierten - Absicht oder auch nur der
Gefahr eines Totalitarismus verbunden sind,
bekämpft werden. Aber eine Etikettierung als
Populismus oder sogar mit einem ausdruckskräftigeren
Kampfbegriff trägt für sich allein dazu kaum bei. Vielmehr
muss die Tatsache der Bestrebungen aufgedeckt, ihre
Ursächlichkeit und die Übel und Nachteile ihres drohenden
Erfolges müssen überzeugend dargetan und bewertet, die
Urheber sogar auch bei bloßer Fahrlässigkeit
mit ausführlicher Begründung angeprangert werden.
Der Vorwurf, zynische Verschleierung antidemokratischer
Totalitarismus-Strategie zu betreiben, ist ein
schriller Ton. Zum Argument, das auch dem
Andersdenkenden Diskussionsraum überlässt, wird der Vorwurf
erst dadurch, dass bestimmte Aussagen oder Verhaltensweisen
beschrieben und die ihnen zugeschriebene negative „Qualität“
begründet wird.
Die Forderung Voßkuhles, Tabubrüche abzuwerfen, schließt wohl
die gerade von sogenannten Populisten bekämpfte
Argumentationsbarriere der „political correctness“ ein. Die
zulässige
krasse Opposition gegen herrschende
Meinungen ist oft das, weswegen „Populisten“ als
solche beschimpft werden. Man bedenke: der meinungsfreie
Bürger darf doch wohl innerhalb der Grenzen der
(verfassungsmäßigen) Strafgesetze seine Präferenz für
Verfassungsänderungen, Sezession und sogar für eine Diktatur
äußern, ohne dafür vom Staat bestraft zu werden. Schließlich
besitzt die Bevölkerung verfassunggebende Gewalt. Besteht
nicht die beste Reaktion auf solche Äußerungen und
Auffassungen in einer überzeugenden Darlegung, dass und
weshalb das Befürwortete für jedermann höchst schädlich
ist ?
Die Empfehlung Voßkuhles, „Soziologische Großdeutungen“ und
„kollektive Pathologisierung“ zu vermeiden, lässt sich auf
alle leider beliebten
Schlagworte ausdehnen,
die ebenso ganze Ideologien wie ihre Anwendung im konkreten
Zusammenhang zu bezeichnen vorgeben aber widersprüchlicher
Deutung zugänglich sind - einschließlich des Ausdrucks
„Populismus“.
Auch die von Voßkuhle abgelehnte
Herablassung
des Akademikermilieus ist nur eine Ausprägung der
verbreiteten Bevorzugung von Beschimpfung statt Argumentation,
die dem Beschimpften Sympathien verschaffen kann.
Der Hinweis, dass selbst Alleinvertretung beansprucht, wer
andere aus dem demokratischen Diskurs ausschließen will,
lässt sich durch die Erwägung ergänzen, dass sich der
Alleinvertretungsaspirant
irren kann, und
zwar auch wenn er
zum Establishment gehört, so dass der Verzicht auf Diskurs
mit der Option einer Berichtigung die Verfolgung des
Gemeinwohls beeinträchtigt.
9
Als
wichtigstes Fazit fordert Voßkuhle:
Beständige argumentative Auseinandersetzung mit
einzelnen politischen Forderungen gerade auf heiklen
Politikfeldern sowie das Aufzeigen konkreter
Handlungsoptionen, damit Wähler die Wahl haben, und als
Reaktion auf antidemokratische Verschleierung den
Nachweis partikulärer, gemeinwohlwidriger Präferenzen.
Die Populismuskeule bringt auch denjenigen, der sie
schwingt, in die
Gefahr, Prinzipien
von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie eine
optimaler Verfolgung des Gemeinwohls zu verfehlen. Die
Keule ist aber
überflüssig, wenn
die Forderuzngen Voßkuhles erfüllt werden. Sie erweist
sich übrigens oft genug auch für die nachhaltige
Bewältigung ihres wie immer gearteten Gegenstandes als
ungeeignet oder kontraproduktiv. Für
eine Assoziation mit schweren und schwersten politischen
Verfehlungen und um im Wortstreit Verschiedendenkender
aufgerieben zu werden, bietet der Wortbestandteil
„populus“ keinen ethymologischen Anhaltspunkt. Der ist
dafür auch zu schade. Der Ausdruck "Populismus"
sei seiner ursprünglichen Bedeutung als "Volksnähe" oder
„Volkstümlichkeit“ zurückgegeben.
Wortsuche
Verzeichnis aller pages von Christian Heinze /
Index to all pages by Christian Heinze
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