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Die Gemeinschaft und der Einzelne. Zum Begriff von "sozial" und "Sozialismus".
The Community and the Individual. On the Notion of "Social" and "Socialism".

(In German language only), von/by Dr. Christian Heinze
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2017 01 23, überarbeitet 2019 07 14


Unter „sozial“ ist der ursprünglichen Bedeutung des Ausdrucks nach zu verstehen, was „societas“, „Sozietät“, nämlich Gemeinschaft schafft, unterhält und ausmacht. Der „socius“ ist das Mitglied, der Baustein und Träger der Gemeinschaft. Von diesem Sinn ausgehend bedeutet „Sozialismus“ relativ hohe Bewertung der Gemeinschaft und ihrer Interessen im Unterschied oder Gegensatz zur Bewertung des Einzelnen und seiner Interessen (Individualismus). Zurücksetzung von Einzelinteressen bedingt einen Verlust an Freiheit des Einzelnen.

Dieser Bewertungsunterschied ist der quantitativen Steigerung oder Reduktion zugänglich. Der Vorzug der Gemeinschaftsinteressen kann sich auf bestimmte Gegenstände beschränken, zum Beispiel auf notwendige Gemeinschaftsaufgaben wie Versorgungs-Infrastruktur oder Straßenbau oder Verteidigung oder Umweltschutz, wobei sich die Freiheitsbeschränkung in Grenzen hält. Im Extremfall können die Einzelinteressen den Gemeinschaftsinteressen prinzipiell untergeordnet werden mit der Konsequenz der Regulierung weiter Lebensbereiche und insbesondere der Güterproduktion und -Verteilung bis hin zur totalen Gemeinschaft.

Der Ausdruck "Sozialismus" ist unbestimmt und zur Irreführung geeignet, weil er durch die für Superlative gebräuchliche Endung "-ismus" auf eine maximale Ausprägung des Gemeinschaftsvorzugs und des Bezugs auf Güterverteilung hindeutet und die Sprache keine Ausdrücke für mindere Steigerungsformen bereithält.

Als politisches und gesellschaftliches Ideal wird Sozialismus nicht nur mit der Geltendmachung eines Eigenwerts der Gemeinschaft (zum Beispiel in Gestalt eines Volks oder einer Nation) oder von Gruppen (zum Beispiel von sogenannten "Klassen") sondern auch damit begründet, dass mit der Verwirklichung der Gemeinschaft, ihrer Interessen und ihrer Zwecke zugleich den (wahren, objektiven) Interessen aller ihrer Mitglieder als Einzelinteressen am besten gedient ist. Für die Güterverteilung (nicht nur der materiellen sondern auch der ideellen Güter) folgt daraus, dass sie entweder für den Einzelnen gleich oder verhältnismäßig („Jedem nach seinen Bedürfnissen“) sein muss. Nach dieser Begründung kann Sozialismus als eine Art Massen- Individualismus erscheinen.
Historisch wurde der Ausdruck Sozialismus im 18. Jahrhundert zur Bezeichnung einer gesellschaftlichen und politischen Reaktion auf verbreitete wirtschaftliche Not oder Unterversorgung und gesellschaftliche Zurücksetzung (insbesondere: einer "Klasse"), die sich später insbesondere in den modernen Industriegesellschaften zu einer Reaktion auf eine als ungerecht empfundene Güterverteilung überhaupt entwickelte, auf die sich seine politische Verwendung zunehmend konzentrierte. Die Ausdrücke "sozial" und "Sozialismus" wurden so zum politischen Kampfbegriff. Dieser Gebrauch der Ausdrücke benutzt die Eignung von Gemeinschaft zur Förderung massenhafter Einzel- oder auch Gruppeninteressen, um damit bestimmte Inhalte und Ziele nicht nur einer notwendigen sondern einer "gerechten" Güterverteilung zu begründen und zu propagieren. Der Bezug auf die Gemeinschaft verengt sich dabei mehr oder weniger auf die Instrumentalität der Gemeinschaft als Produzent und Verteiler von Gütern und Leistungen (als Versorger). Die ideelle Bewertung des Sozialen tritt in den Hintergrund, zumal auch massenhafte Einzelversorgung und Gemeinschaftsinteressen in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Die Problematik dieser Bewegung besteht in der Frage, durch wen, in welchem Verfahren oder nach welchen Kriterien die Gemeinschaftsaufgaben und die Güterverteilung in ihren Einzelheiten bestimmt werden soll.
Starke Betonung von Gemeinschaftswerten in dem auf Versorgungs- Sozialismus gerichteten Begriffsgebrauch steht dem ursprünglichen Gemeinschaftsbegriff in seiner Beziehung auf die tatsächliche weltweite Gemeinschaftsbildung nahe. Sie versucht in der Regel, sich den Propagandawert eines implizierten Versprechens gerechter Güterverteilung zuzulegen. Erfahrungsgemäß wird infolge der erwähnten Spannungen zwischen Gemeinschafts-, Gruppen- und Einzelinteressen diese Gerechtigkeit zugunsten von Gruppenbewertungen, die die Bedeutung von Gemeinschaftswerten beanspruchen, tatsächlich im Verlauf stärker zurückgedrängt (vgl. die historischen Beispiele des politischen Marxismus etwa in Gestalt des Stalinismus-Leninismus in der UdSSR und in der DDR).

Eine hohe Bedeutung kommt in der Gegenwart der Nation im Sinne einer in einem Mindestmaß prägenden Umfang homogenen Gemeinschaft der Bevölkerung eines Staates zu. Hohe Bewertungen der Nation (zum Beispiel im aktuellen Slogan "America first") und von Sozialismus sind nicht nur gut miteinander vereinbar sondern ergänzen sich. Sie sind im Rahmen der Voraussetzungen für inneren und äußeren Frieden nicht zu beanstanden, wenn sie jeweils mit genauerer Beschreibung verbunden werden, was damit konkret gemeint ist. Denn die Ausdrücke sind Gegenstand unterschiedlicher Bewertung ihrer graduellen Verwirklichung. Propaganda für „National-Sozialismus“ verbietet sich aber entschieden auf Grund der tiefen Prägung, die der Ausdruck durch seine historische Verwendung zur Bezeichnung (gegen seinen Wortsinn) der menschenverachtenden und friedensfeindlichen, zum Teil geradezu verbrecherischen Entfaltung Deutschlands unter der Hitler-Diktatur zwischen 1933 und 1945 erfahren hat.

Gemeinschaft und Sozialismus sind für die Menschheit lebensnotwendig und übrigens offensichtlich im Wesen des Menschen angelegt. Ihre Verfolgung kollidiert jedoch mit dem ebenfalls im Wesen des Menschen angelegten Freiheitsanspruch. Die Bewältigung der Kollision durch Herstellung eines ausgewogenen Verhältnisses der Bewertung und Verwirklichung von Gemeinschafts-, Gruppen- und Einzelinteressen ist Voraussetzung nicht nur für Frieden zwischen den und innerhalb der Gemeinschaften sondern neuerdings für den Fortbestand menschlichen Lebens überhaupt. Sie ist die vordringlichste Menschheitsaufgabe.


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