Von Dr. Christian Heinze
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2017 08 14
Gibt es eine besondere Art falscher oder gefälschter Meldungen, zu deren
Unterscheidung es des Anglizismus der "Fake News" bedarf ? Jedenfalls lässt die
Popularität des Ausdrucks tief blicken: Das Phänomen, das mit dem Ausdruck bezeichnet
zu werden pflegt, ist eine
Erscheinung des Verfalls einer rationeller Problembewältigung gewidmeten Kommunikation.
Es erinnert mit Dringlichkeit an die Aufgabe von Jedermann, sich mit Fleiß an der Tatsachenklärung
und Wahrheitspflege zu beteiligen.
Als Fake-News werden angeblich oder wirklich falsche, unwahre, verfälschte
und verdrehte Nachrichten bezeichnet. Die Bezeichnung wahrer Nachrichten
als Fakte-News sind selbst Fake-News. Irrtümer, Lügen, Fälschungen und
Verdrehungen sind nichts neues, und ebensowenig ist es ihre Bewertung: Sie
gelten in der Regel als unanständig bis kriminell und werden meist auch so behandelt.
Aber manche Autoren nehmen das in Kauf, weil sie täuschen
wollen, und manche Adressaten nehmen es in Kauf, weil sie am Inhalt der News Gefallen
finden und sich gern täuschen lassen (1). Lügen haben zwar kurze Beine und ehrlich
währt am längsten, aber es kann auch anders ausgehen, wenn der Schwindel nicht
entedeckt wird oder gar irgendwie zu guten Ergebnissen beiträgt. Deshalb werden
manchmal Lügen sogar als nützlich bis genial oder als Notlügen "notwendig"
angesehen. Der Modeausdruck "Fake-News" verziert jedoch erst ungefähr
seit dem
Wahlkampf des US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump im Jahre 2016 und
der internationalen Agitation des russischen Präsidenten Wladimir Putin
den allgemeinen Sprachgebrauch. Bezeichnet dieser
Ausdruck etwas neues oder besonderes und wenn ja, was ? Was macht ihn populär und
was ist dazu zu bemerken ?
Besonders gern werden Nachrichten als "Fake-News" bezeichnet, deren (womöglich vorgetäuschte) Autoren oder Quellen eine besondere Verantwortung für Wahrheit zukommt oder zugeschrieben wird, wie etwa Schriftsteller, Medien, Politiker, Lehrer oder Forscher, die dem Publikum Informationen anbieten. Vielleicht muss auch eine Neigung festgestellt werden, Nachrichten der Unwahrheit zu verdächtigen, deren Wahrheit oder Unwahrheit nicht leicht zu erkennen ist oder deren Wahrheit unangenehm ist. Es könnte sich dabei um eine Reaktion auf einen Trend handeln, es mit der Wahrheit weniger genau zu nehmen. Dann wären Fake-News Ausdruck eines allgemeinen, womöglich begründeten Verlusts von oder Verzichta auf Vertrauen oder Vertrauenswürdigkeit. Es kann schließlich auch verbreitete Leichtgläubigkeit sein, die zur Verbreitung von Fake-News ermutigt. Vielleicht relativ neu und charakteristisch für Fake-News ist jedenfalls, dass Lügennachrichten mit Vorliebe kurz, massenhaft und zeitnah durch Medien wie Fernsehen, Boulevard-Presse oder das Internet verbreitet werden. Die erwähnte Assoziation von Fake-News mit bestimmten exponierten Persönlichkeiten geht insoweit auf das zufällige zeitliche Zusammentreffen ihres Auftretens mit einer Konjunktur sogenannter "sozialer Netzwerke" zurück. Die Verbreitung von Fake-News kam mit dieser Konjunktur weit über den Kreis exponierter Persönlichkeiten hinaus in vollen Gang, zum Beispiel für Zwecke der Werbung in Wirtschaft und Politik oder der Bloßstellung, Diffamierung oder Heraushebung von Personen oder Personengruppen im allgemeinen, von Zuständen oder Ereignissen, aber auch für alle möglichen anderen Zwecke.
Die Beliebtheit des Ausdrucks dürfte auf die Beliebtheit der Medien zurückzuführen sein, deren Verwendung zur Verbreitung von Nachrichten zur Kreation des Ausdrucks beigetragen hat. Für diese Medien ist Kürze und Prägnanz der Ausdrucksweise charakteristisch. Sie kommt einer Neigung der Adressaten entgegen, möglichst wenig Zeit auf die Aufnahme von Nachrichten zu verwenden, und zwar auch um den Preis des Verzichst auf Genauigkeit, Gründlichkeit und Begründung. Der Ausdruck "Fake-News" ist geeignet, auf diese medienbedingte Anfälligkeit von Nachrichten hinzuweisen, um den Wahrheitsgehalt von Nachrichten infrage zu stellen, ohne dass derjenige, der den Ausdruck gebraucht, seinerseits gezwungen ist, die Behauptung der Unwahrheit zu präzisieren und zu begründen. Sowohl die Verbreitung als auch die Diskreditierung von Fake-News wird dadurch erleichtert, und das Spiel mit Nachrichten besonders weittragender oder spektakulärer Bedeutung macht gerade wegen seiner relativen Unverbindlichkeit Spaß.
Der Fake-News-Rummel ist aber weit weniger Spaß als schädlich. Denn Nachrichten, die auf Genauigkeit und gründliche Begründung verzichten, sind besonders anfällig für Unrichtigkeiten und Verfälschungen (siehe dazu den Beitrag " Populismus") Wahrheit und Gewissheit sind aber Allgemeingüter, von denen Wohlstand und Frieden abhängen. Und Fake-News verbreiten nicht nur Unwahrheit sondern fördern Ungewissheit und schalten Wahrheit stumm. Auch wenn sie zwar entlarvt, aber ignoriert werden, wird lediglich die Unwahrheit aufgehoben, während die Wahrheit stumm bleibt. Das beeinträchtigt ökonomischen und politischen Wohlstand. Ehrlicher ökonomischer Wohlstand entsteht durch Tausch, aber in der Regel nur, wenn die Partner über die Tauschgegenstände und -Bedingungen wahrheitsgemäß informiert sind. Und Unwahrheit veranlasst Getäuschte zu einem Verhalten, das meist ihren eigenen oder fremden Interessen, oft zum Vorteilm Dritter, zuwiderläuft. Ähnliches gilt für die politische Willensbildung, namentlich im demokratischen Staat. Denn weil der Vorzug der Demokratie auf maximaler Richtigkeitsgewähr durch Mehrheitsentscheidungen beruht, ist er auf vollständige und wahrheitsgemäße Information der abstimmenden Mehrheit angewiesen. Ungewissheit und Täuschung haben Schäden und Streit zur Folge.
Also verlangt der Bedarf an Wahrheit nach Unterdrückung, Verbot und Bestrafung von
Fake-News. Unwahre oder irreführende Inhalte sollen kraft Staatsgewalt oder von
Kommunikations-
Sammelinstanzen wie Medien, Suchmaschinen, Wissensmonopolisten wie Wikipedia oder
Werbeeinrichtungen aller Art bekämpft werden. Insbesondere Beschränkungen des
Internet-Verkehrs werden empfohlen.
Bisher hat sich das Publikum eher
vehement gegen Beeinträchtigungen der Internetfreiheit gewendet. Es hat das Internet
als freiheitliche Revolution der weltweiten Kommunikation gefeiert. Das beruht, in
Verbindung mit Sympathie für technischen Fortschritt, auf der Wahrnehmung des
Internet als Faktor der Globalisierung des freien Zusammenlebens der
Menschen und als eine an Breite, Tiefe und Geschwindigkeit alles bisher Dagewesene
weit hinter sich lassende Bahn für Wissen und Verstehen und damit für Frieden und
Fortschritt. Es beruht aber auch auf der Erwägung, dass eine Beschränkung der
Kommunikationsfreiheit leicht auf unlautere Ziele gerichtet werden kann. Sie kann
eingesetzt werden, um die Stimmung, das Verhalten und besonders das Wahlverhalten
des Publikums zu beeinflussen. Die
Lautstärke, mit der demgegenüber neuerdings Forderungen zur Unterdrückung von
Fake News erhoben werden, ist daher erstaunlich.
Die überraschende Wendung ist ein Irrweg. Denn dem Kontrollvorschlag steht das
Interesse an Meinungsfreiheit und freier Meinungsäußerung entgegen. Ihre
Beschränkung wäre noch weit schädlicher als es Fake-News sein können, denn
Meinungsfreiheit ist eine Voraussetzung für Wahrheitsfindung überhaupt, die oft nur
in komplizierten Verfahren oder nur annäherungsweise möglich ist. Damit ist
Meinungsfreiheit auch eine Voraussetzung für die Bekämpfung von Fake-News.
Meinungsfreiheit kann auch
nicht etwa zwischen Bewertungen und Urteilen einerseits und Tatsachenmitteilungen
andererseits unterscheiden. Sie schließt grundsätzlich die Äußerung von
Unwahrheiten und irreführenden Bewertungen ein. Daher ist Beschränkung der
Meinungsäußerung in einem freiheitlich verfassten
Gemeinwesen nur durch Gesetz und auch nur in Grenzen vereinbar, etwa durch Bestrafung
von Betrug oder Beleidigung oder irreführender Werbung oder durch Versagung von
Verbindlichkeit an Verträge, die auf Irrtum oder Täuschung beruhen. Und wer sollte
auch nach welchen Kriterien verbindlich über die Ausübung der Meinungsfreiheit im
allgemeinen und insbesondere im Internet entscheiden ? Behördliche Zensur durch
"Wahrheitsbehörden" ist gerade das Übel, gegen das die größte und tiefgreifendste
Revolution aller Zeiten, die "Französische Revolution" die Meinungsfreiheit
eingeführt hat. Erst recht kann die Entscheidung keinesfalls privaten Kommunikations-
Providern
überlassen werden. Übrigens würden staatliche oder staatlich verordnete und selbst
gewohnheitsmäßige Beschränkungen und Bevormundungen den Fake-News besonderes
Interesse sichern - erinnert
sei an den Reiz des verbotenen Abhörens von Feindsendern im Zweiten Weltkrieg.
Einer Kontrolle und Beschränkung des medialen Verkehrs bedarf es auch nicht.
Denn es sind nicht die Fake-News selbst, sondern es sind die
durch sie veranlassten Meinungen oder Verhaltensweisen ihrer Adressaten, die Schaden
stiften. Es ist aber Sache jedes Einzelnen und der freien Gesellschaft, Einfluss
von Unwahrheiten und Ungewissheiten auf sein Meinen und Verhalten abzuwehren und
schädliche Folgen von Fake-News zu verhindern. Das erfordert auch keinen größeren
Aufwand, als er auf Grund des Zusammenlebens der Menschen Jedermann zuzumuten ist.
Der größte Feind des Irrtums, der Fälschung und Verdrehung ist die klare Wahrheit.
Zum Sieg über die Fake News gelangt sie durch Kenntnisnahme. Auf dem Weg dorthin
gibt es Hindernisse. Das erste ist ein Mangel an jenem Wissen und Denken, das
Existenz-Voraussetzung in einem modernen Gemeinwesen ist, für dessen Frieden und
Wohlstand komplizierte Regeln und Zusammenhänge maßgeblich sind. Schädliche
Wirkungen von Fake-News treten ein, wenn das Fehlen dieser Grundkenntnisse dazu
führt, dass die ersichtliche Gefahr der Unrichtigkeit einer Nachricht nicht
erkannt wird. Deshalb ist
jedermann gehalten, sich die Grundkenntnis dieser Regeln und Zusammenhängen zu
verschaffen und durch Nachdenken von ihnen bei der Begegnung mit Nachrichten
Gebrauch zu machen. Wird ihre Unrichtigkeit erkannt, so besteht das nächste
Hindernis in der
Bequemlichkeit, die den Adressaten hindert, die Wahrheit selbst zu suchen.
Verantwortungsvolle Menschen ignorieren Nachrichten mit verdächtigen Inhalten
oder von Absendern, deren Unzuverlässigkeit sie kennen oder mit deren
Unzuverlässigkeit sie rechnen müssen, oder prüfen sie an Hand
zuverlässiger Kriterien oder Quellen nach.
Weiter kann eine Neigung zur Selbsttäuschung ein Hindernis bereiten.
Gegenüber dem Motiv, dem begründeten Verdacht einer Unwahrheit nachzugehen,
droht die Neigung zu überwiegen, einer erwünschten Nachricht zu vertrauen. Das
gilt besonders für Prognosen, die in eine herbeigesehnte Zukunft weisen. Zwar
wird die Macht der Wahrheit über Fake-News oft durch Einsatz guter Gründe
unwiderstehlich. Aber nicht immer überwindet sie die Verweigerung der
Kenntnisnahme von diesen Gründen durch Geister, die durch
Wunschdenken oder Spiegelfechterei oder schlichten Irrtuum verblendet sind.
Die schädliche Wirksamkeit von Fake News und ihre Verhinderung
hängt mithin zum guten Teil von der Wahrnehmung, vom Denken und vom Tun der
Adressaten ab. Sie tragen Verantwortung dafür, dass sich diese Wirksamkeit
nicht
entfalten kann, und diese Verantwortung steht zusätzlich einer Einschränkungen der
Meinungsfreiheit entgegen. Wird die Verantwortung wahrgenommen, so werden
Fake-News und diejenigen, die sie verbreiten, bald erkannt und allgemein bekannt.
Dann können Fake-News ihren Zweck nicht mehr erreichen, sie kommmen aus der Mode.
Betreffen Fake-News politische Angelegenheiten, ist dem vorstehenden entsprechend
von verantwortungsvollen Staatsbürgern zu erwarten, dass sie
besonders prägnanten Parolen misstrauen
und sich aus zuverlässiger Quelle informieren, ehe sie Folgerungen ziehen. Die
Bevölkerung, die Internet-"Community", besonderes jeder Berufene, alle Autoren und
Medien (2), besonders aber auch der Staat
mit seinen Organen sollten gut begründete, ansprechende
Darstellungen der Wahrheit beisteuern, schon ehe Fake-News entstehen,
spätestens aber sobald sie auf solche treffen. Es eröffnet sich ein Feld für
verdienstvolle Betätigung der politischen Parteien, auch von Ämtern für politische Bildung,
für die interessierten Kreise und für Journalisten. Sofern auch deren Äußerungen der
Kommentierung bedürfen, gilt das zuvor gesagte entsprechend.
Fußnoten:
(1) Wohl nicht aus der Antike sondern aus der Renaissance stammt das Sprichwort
"mundus vult decipi" - die Welt will getäuscht werden (siehe
http://www.gavagai.de/zitat/HHC167.htm). Der Renaissance verdanken wir ja auch Nicolo Macchiavelli,
von dem das Sprichwort ebensogut stammen könnte.
(2)Jeder News-Anbieter sollte einen Beitrag leisten, um die Verbreitung und Aufsuchung
zuverlässiger Information zu erleichtern. Er kann eine
einfach zu bedienende Anwendung direkt neben seinen News installieren. Dadurch wird zugleich
dem Verdacht auf "Fake" entgegengewirkt. Die Idee hat
einen Vorläufer im presserechtlichen Gegendarstellungsrecht. Seriöse Medien wie FAZ.net,
DIE ZEIT-online oder Cicero-online tun genau das seit geraumer Zeit. Es sollte zum
„Markenzeichen“
jeder wahrheitsliebenden Nachricht werden, dass sie ihre eigene Veröffentlichung unmittelbar
mit einer Möglichkeit zur unkomplizierten Eingabe eines Kommentars verbindet. Diese sollte
sich zugleich mit der Nachricht öffnen und den Kommentar zeitgleich mit der Nachricht
wiedergeben. Diese Lösung schränkt keine Freiheit ein und
verletzt keine schutzwürdigen Interessen.