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Die Konfliktlage in Südwestasien und Nordafrika und ihre Bewältigung.
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9.9.2018

Die Region ist politisch verfeindet oder zersplittert und seit Jahren Schauplatz besonders blutiger und zerstörerischer Kriege, Bürgerkriege und Terrorkampagnen. Im streitbefangenen Raum können nur Pakistan, Iran, Saudi-Arabien, der Oman, einige Emirate, die Türkei, Israel, Jordanien, Ägypten, Algerien und Marokko als stabile Staaten gelten. Gebilde wie Afghanistan, der Irak, Yemen, Syrien, Libyen, Tunis entfalten Staatsgewalt nur eingeschränkt oder auf Teilen ihres Gebietes. In einigen dieser Länder haben sich totalitäre Verfassungen etabliert, deren Stabilität auf lange Sicht infrage steht, weil – wie die Geschichte lehrt - totalitäre Gewaltregime auf die Dauer keinen Bestand haben. Neben Staaten und staatsähnlichen Mächten bekämpfen sich oft gut bewaffnete Gruppen, die auch überregional agieren. Nur einige von ihnen wie die Palästinenser und die Kurden lassen die Fähigkeit zur dauerhaften Staatsbildung im Ansatz erkennen. Weite Gebiete entbehren bereits seit vielen Jahren einer etablierten Staatsgewalt und versinken im Chaos, in dem kleine bewaffnete Gruppen oft ohne Rücksicht auf Weltanschauung oder Religion zum ultimativen Anbieter einer gewissen Sicherheit werden. Die Verhältnisse der grundlegenden politischen Interessen und Mächte sind kompliziert und schwer durchschaubar und bieten wenig Anhaltspunkte für dauerhaften Ausgleich und für Befriedung der Region durch lückenlose Bildung permanenter Staaten.

Historische Ansätze einer theoretisch naheliegenden politischen Einheitsbildung aller Araber sind gescheitert, gegenwärtig zeigen sich keine aussichtsreichen Ansätze. Ein arabisches Staatsgebilde böte auch nur eine Teillösung, weil große Teile des Konfliktraums nicht der heutigen arabischen Welt angehören. Der Iran, der nicht zur arabischen Welt gehört, sieht einen Hauptfeind einer Befriedung der Region in Israel, dessen Existenzrecht vom Iran und anderen Mächten des Konfliktraumes bestritten wird, Der Iran und diese Mächte sind - insoweit folgerichtig - Verbündete der Palästinenser und derjenigen arabischen Welt, die, zum Beispiel vom Libanon aus, gegen Israel agiert. Zugleich konkurriert der Iran scharf - und verstärkt durch den Gegensatz von Schia und Wahhabismus/Salafismus/Sunna/Haschemitentum - mit Saudiarabien, das seinerseits mit den USA kooperiert. Das erklärt den scharfen, durch den Einfluss Israels in USA und durch die antiwestliche Haltung des nahen Ostens und der islamischen Welt verstärkten Gegensatz zwischen USA und dem Iran. Es erklärt die Allianz des Iran mit dem syrischen Regierungschef Assad und dem diesen unterstützenden Russland, zumal diese Allianz auch dem Interesse des Iran an der militärischen Präsenz in der Nachbarschaft Israels dient. Daneben ergeben sich brisante Spannungen zwischen dem Iran mit dem Irak aus dem hohen Anteil der schiitischen Bevölkerung im Irak und den spannungsreichen Verhältnissen der irakischen Schiiten und Sunniten. Sie sind verstärkt durch das Trauma des besonders brutalen und blutigen irakisch-iranischen Krieges der 1980er Jahre. Der Stellvertreter-Bürgerkrieg im Jemen dient mit der maßgeblichen Parteinahme Saudi-Arabiens unter Beteiligung westlicher Mächte für die Regierungstruppen der Bindung iranischer Kräfte, die die Aufständischen unterstützen. Kurden haben einen - wenn auch auf zwei Gruppierungen verteilten - starken territorial verorteten und ethnisch begründeten Zusammenhalt entwickelt und erhalten ihn gewaltsam und erfolgreich aufrecht. Der Zusammenhalt resultiert in einem gewaltbereiten Selbstbestimmungsanspruch und bringt die Volksgruppenm in Gegensatz zu der auf Vorherrschaft bestehenden Türkei, aber auch zu Syrien und dem Irak. Soweit die seit den Nachwehen des Zusammenbruchs des Osmanenreichs nicht mehr originär-aktiv an den Rivalitäten beteiligte Türkei neben der Abwehr der kurdischen Bestrebungen an Frieden in der Nachbarschaft interessiert ist, neigt sie einer Ablehnung von Interventionen und einer womöglich Stabilität versprechenden russischen und syrischen Allianz zu. In den staatenlosen Räumen lodern bewaffnete Kämpfe zwischen kleinen, aber durch Stammes-, Sippen- oder Claninteressen und/oder religiöse Sonderüberzeugungen fest gefügten örtlichen Mächten, die manchmal Ansätze zu einer übergreifenden Staatsbildung ersticken. In ihren wechselnden Allianzen mit den oder Feindseligkeiten gegen die größeren Konfliktparteien wirkt das Potenzial dieser Kampfgruppen als Zünder für größere Brände. Vereint sind alle regionalen Rivalen in der Ablehnung des „Islamischen Staates“. Diese ist aber hier und da unterschwellig mit einem Funken von Sympathie für dessen antiwestliche Aktivität und Hingabe an ein wenn auch fehlkonzipiertes so doch partikuläre Interessen überwindendes Gemeinwohlideal verbunden. Diese Sympathie würde auch die vermutete verdeckte Unterstützung der unter anderem gegen den Iran und die irakischen Schiiten kämpfenden Kaida und Taliban durch Saudiarabien erklären helfen.

Als höchst effektive Behinderung einer regional-autonomen Lösung wirkt die massive und kontinuierliche Intervention regionsfremder, teilweise auch miteinander rivalisierender „westlicher“ Mächte durch propagandistische und diplomatische Unterstützung, durch wirtschaftliche und finanzielle Leistungen, besonders auch durch Lieferung von Waffen und Logistik gewaltsamer Machtentfaltung bis hin zu überwältigendem Waffeneinsatz. Diese Intervention ist von aus der Sicht der Bevölkerung des Konfliktraumes vorbelastet durch eine im Konfliktraum verbreitete Aversion gegen eine zwar auch attraktive und faszinierende, aber hier als fremd und sogar dekadent wahrgenommene Weltanschauung und Lebensweise der westlichen Gesellschaften. Gegenstand der Aversion ist auch das historisch belastete und hier weitgehend missverstandene Christentum, obwohl oder weil es auch im Konfliktraum Fuß gefasst hat. Westliche Interventionen sind zusätzlich diskreditiert durch historische Versuche, die westliche Weltanschauung und Lebensweise dem Konfliktraum „moralisch“ oder auch mehr oder weniger gewaltsam als Vorbild zu oktroyieren. Westliche Interventionen sind ferner diskreditiert durch die Fortwirkung der Unterdrückungen, Schädigungen und Übervorteilungen des Konfliktraumes im Zuge des - sei es auch bereichsweise sehr verdienstvollen - historischen Kolonialismus und Imperialismus. Die Zerstörung des Lebensraums, insbesondere der Wohn- und Kulturstätten von Millionen Menschen, die auch zu Massenflucht geführt hat, mit Hilfe westlicher Waffen und Interventionen der jüngeren Vergangenheit wird auch als subtile Fortsetzung der kolonialen Schädigung durch den Westen empfunden. Die durch Kolonisation und ihre Begleiterscheinungen weniger belastete russische Parteinahme für Assad könnte zwar mit Hilfe des Iran und vielleicht der Türkei, der sich letztlich womöglich sogar die USA und ihre Verbündeten anschließen könnten, zu einer Wiederherstellung eines stabilen syrischen Staates führen, würde aber die Konfrontationen der im Raum fortwirkenden größeren Mächtekonstellationen eher vermehren und vertiefen. In wachsendem Maße eingeschränkt wird die Wirkung westlicher Intervention schließlich durch einen schleichenden Abbau überzeugender Staatlichkeit und politischer Verbindlichkeit des Verhaltens westlicher Länder und durch eine starke Konzentration westlicher Gesellschaften und Politik auf Verteilungskämpfe.

Befriedung der Region setzt zuerst flächendeckende Bildung von Staaten voraus, deren Territorien sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Bevölkerungs- Homogenitäten entsprechen. Dazu bedarf es der Schaffung, Erhaltung und Trägerschaft einsatzbereiter Bevölkerungen und qualifizierter Führungen, die sich am übergeordneten Gemeinwohl orientieren. Die Tatsache der Unterhaltung einer permanenten obersten Territorialgewalt ist entscheidend, So gebildete Staaten müssen sich von ihrer Friedensaufgabe der Unterbindung anderer als der für diese Friedensaufgabe unerlässlichen Gewalt leiten lassen und infolgedessen grundsätzlich unter sich auf wechselseitige Interventionen verzichten. Freilich fordert das internationale Interventionsverbot auch den Verzicht auf übertriebene Sicherheitsvorkehrungen, die auf Aggression hinauslaufen. Vor allem müssen sich die Religionsgemeinschaften überzeugen lassen, dass Gewalteinsatz dem Wesen jeder Religion widerspricht. Die Bevölkerungen und ihre Führung müssen dafür sorgen, dass Entfaltung der Staaten ihre Lebensinteressen und Wünsche ausreichend abbildet. Weitergehende notwendige Vorgaben für ihre Verfassung, insbesondere für Staatsform oder Rechtsinhalte lassen sich aus der Friedensaufgabe nicht ableiten. Monarchien und religiös gebundene Staaten können diese Aufgabe ebensowohl erfüllen wie eine der vielfältig vorstellbaren Formen von Demokratie. Allerdings bedarf es in der zerklüfteten Anschauungs- und Glaubenswelt des Konfliktgebietes einer besonderen Anstrengung von Toleranz und in seiner durch Knappheit und (Wieder-)Aufbaubedarf bestimmten Lage einer überzeugenden Ordnung der Produktion und Verteilung von Gütern und Leistungen.

„Der Westen“ muss sich, wenn die Region befriedet werden soll, auf ein Verhalten zurückziehen, das diesen Voraussetzungen nicht zuwiderläuft. Um seine negativen Einwirkungen in den Konfliktraum auszugleichen, muss er sich zu seinem Fehlverhalten in der Vergangenheit bekennen und angemessen zur Folgenbeseitigung beitragen, während er sich zugleich auf seine Leistungen berufen darf. Er muss den weder begründbaren noch friedlich durchsetzbaren Anspruch auf Letztentscheidung darüber aufgeben, was außerhalb des Bereichs seiner eigenen Selbstbestimmung als Fortschritt der Menschheit anzusehen ist, und vor der eigenen Haustür kehren. Interventionen im Konfliktraum muss „der Westen“ meiden wie der Fisch das trockene Land. Interventionen dürfen insbesondere nicht zerstören sondern allenfalls im Einvernehmen mit friedfertigen staatstragenden regionalen Kräften schützen und bewahren. Sie dürfen dem Westen keine Vorteile auf Kosten oder zu Lasten der Region verschaffen. Dabei kann und soll der Westen durchaus versuchen, von dem zu überzeugen, was er an Weisheit über die Schaffung und Erhaltung von Frieden insbesondere durch Organisation von Staat und Gesellschaft dem Konfliktraum etwa voraus hat, soweit es zu den Gegebenheiten und insbesondere zur Befindlichkeit der Bevölkerung im Konfliktsraum passt. Dazu gehört, dass Staatsbildung im Friedensinteresse erforderlich ist und dementsprechende Achtung beanspruchen kann und muss. Dazu gehört, dass friedfertige Meinungs- und Glaubensfreiheit dank der unübertrefflichen Wirkungskraft von Glauben und Zweifel, von Vernunft-Denken und Kritik im Interesse jeden Fortschrittsstrebens besonders auch angesichts der Herausforderungen von Wissenschaft und Technik unerlässlich sind, Dazu gehört ferner, dass jede Gesellschaft ihr Zusammenleben in ihrem Territorium, ihre Regeln und Freiheiten selbst gestaltet. Dazu gehört schließlich, dass Verbindlichkeit gegenüber Opportunismus, dass Bündnisse und Föderationen gegenüber Partikularismus ebenso wie gegenüber gezwungener Zentralisierung und dass Subsidiarität gegenüber totalitäerr Regulierung vorzuziehen sind.




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