Migration - Ent- und Resozialisierung des Menschen als
Klimax eines gesellschaftlichen und/oder politischen Zusammenbruchs und als
Unterfangen eines Wiederaufbaus.Zu einem Aufsatz von Barbara Lehmann
von/by Dr. Christian Heinze
Eine subpage zur Seite pro-re-publica.eu
2015 12 18
Wie Migrationsursachen Menschen zerbrechen, zumindest verstören oder beschädigen,
wie Migranten unbewältigte Vergangenheit mit sich tragen, wie die Migranten und
ihre Lage in der Fremde geprägt sind von Erinnerung an Gefahren, Kämpfe,
Verletzungen und Tod, von früherem Erfolg und Versagen, von früherer Existenznot
und von Angst vor künftiger Wiederholung solcher Erlebnisse, von Sehnsucht nach
einer heilen Welt, die sich angesichts zerbrochener Ideale und mangels
Heimat -
manchmal nicht nur der Migranten sondern auch der Bevölkerung des
Zielraumes - nur schwer definieren lässt, und wie all das Wut, Aggression,
Verzweiflung bis hin zum Selbstmord nahelegt, daran erinnert eindringlich der
hier mit Zustimmung der Autorin und des Herausgebers verfügbare Aufsatz von
Barbara Lehmann,
"Extrem im Guten wie im Schlechten" veröffentlicht in der Neuen Zürcher
Zeitung vom 27. Oktober 2015. (Die Überschrift deckt nur einen Teilaspekt des
Inhalts ab, nämlich eine Besonderheit des Umgangs der Deutschen mit der konkreten
Migrationswelle der Zeit um 2015, den die Autorin mit dem deutschen Flucht-Erlebnis
von 1945/46 in verbindung bringt. Der Aufsatz geht weit über diesen singulären
Aspekt hinaus: er betrifft wichtige grundlegende Zusammenhänge von Migration
insbesondere in der Gestalt von Flucht. Es kann aber sein, dass die Beschäftigung
mit den singulären konkreten deutschen Verjhältnissen die Augen öffnen hilft für
allgemeingültige Erkenntnisse über Migration.)
Der Aufsatz berührt nicht alle Aspekte um Migration. Dazu gehören auch Kraft und
Wille des Menschen zum Leben, zum Aufbau von Wirtschaft, Gesellschaft und Ordnungen
auch in widriger Umgebung. Dazu gehört eine durch Entwicklung und Verbreitung von
Wissenschaft und Technik herbeigeführte Einebnung mancher Unterschiede, die Heimat
ausmachen: Elektrische Energie verringert den Kontrast von Tag und Nacht, von Wärme
und Kälte, die Verbreitung von Erkenntnissen macht unterschiedliche Gewohnheiten
der Lebensführung obsolet. Das führt zu einer allgemeinen modernen Tendenz zur
Verminderung der Hinderlichkeit von
„Heimat“ für
Migration, allerdings in manchen Bereichen auch zu einem reaktionären Kampf um ihre
Erhaltung oder gar Steigerung. Migration wird begünstigt durch die im Wesen des
insbesondere jungen Menschen angelegte Lust an oder sogar Sehnsucht nach Entdeckung
und Erlebnis des Unbekannten und nach Ferne, die sich gegen Neigungen zum Festhalten
an Gewohnheiten und Sicherheiten durchsetzt. Sie wird begünstigt und behindert
durch eine weitgehende menschliche
Anpassungsfähigkeit, allerdings auch durch Bereitschaft zu mehr oder weniger
gewaltsamer Usurpation bei der Gestaltung einer heilen Welt und von Heimat.
All diese sowie die im Aufsatz vonLehmann erinnerten Aspekte betreffen
sowohl Migranten als auch Zurückgebliebene und verdoppeln damit Wirkung und
Gewicht der Migration durch deren Trennung.
Sie betreffen die Auszehrung, Belastung, Bereicherung und Stärkung der Herkunfts-
und der Aufnahme-Gemeinschaften und -Staaten, insbesondere deren Funktion als
Träger der Anstrengungen für Weltfrieden. Sie betreffen mit unterschiedlichem
Gewicht, in unterschiedlichen Abstufungen und in diversen Kombinationen und
Überschneidungen alle Arten menschlicher Wanderung, vom Besuch als Gast oder als
mittelfristig Wander-Erwerbstätiger über die Asylsuche Einzelner und über
massenhafte Flucht bis hin zur auf Dauer angelegten friedlichen, gewillkürten
oder durch Gewalten aller Art erzwungenen oder verhinderen Aus- und Einwanderung
oder Eroberung mit Unterwerfung oder Vertreibung der Zielraum-Bevölkerung.
Migration geschieht nicht einfach. Sie wird gestaltet. Ob sich Frieden und Wohlstand,
Schäden oder Katastrophen ergeben, hängt davon ab, ob Gestaltung alle konkret
relevanten Aspekte in ihrer Unterschiedlichkeit wahrnimmt und im Friedens- und
Wohlstandsinteresse berücksichtigt, abwägt und bewältigt, auch soweit sie im
Unterbewusstsein Beteiligter verborgen und teilweise irrationaler Natur sind und von
dort her in entsprechender Weise wirken.