Der Katalonienkonflikt und der allgemeine
Bedarf an Staatlichkeit.
von Dr. Christian Heinze
Eine sub-page zur Seite:
pro-re-publica.eu
2017 10 12
Nach Medienberichten scheint eine überwältigende Mehrheit der
Katalanen eine
von Spanien unabhängige katalonische Regierung zu wünschen.
Zur Begründung
nehmen die Separatisten auf das sogenannte
Selbstbestimmungsrecht der Völker
bezug. Möglicherweise verbinden viele Separatisten mit dem
Wunsch keine klare
Vorstellungen über das Ausscheiden aus dem Spanischen Staat und
die
Neugründung eines eigenen Staates mit den daraus folgenden
Änderungen des
Verfassungsrechts, der Rechtsgeltung, Gesetzgebung, Exekutive
und Justiz sowie der intereuropäischen und internationalen
Beziehungen mit
ihren politischen Folgen und künftigen Anforderungen an die
Bevölkerung und einen künftigen Staat
Kataloniens. Die Separationsbewegung wird jedoch von der
innerhalb der
Verfassung Spaniens etablierten Regierung Kataloniens
unterstützt, wenn nicht
getragen. Diese Unterstützung ist klar und deutlich auf
vollständige Lösung
vom spanischen Staat und Errichtung eines Staates Katalonien
gerichtet. Sie
hat daher eine Revolution eingeleitet. Sie gipfelte in der
Veranstaltung einer
Volksbefragung über den Separationswunsch der Bevölkerung
am 1.10.2017 und
der Ankündigung einer Unabhängigkeitserklärung für den Fall
einer ausreichenden
Mehrheit für den Separationswunsch. Soweit die Befragung
nicht von Spanien
unterbunden wurde, ergab sie Mehrheiten für die Separation.
Die katalanische
Regionalregierung hat daraufhin eine Unabhängigkeitserklärung
angekündigt,
aber zugleich suspendiert. Es haben zugleich
Massendemonstrationen von
Spaniern für den Verbleib Kataloniens in Spanien
stattgefunden.
Die völker- und staatsrechtliche Lage des katalonischen
Separatismus hat
der Professor an der Universität Bonn
Stefan Talmon
in seinem
Interview mit der Zeitschrift "Cicero" überzeugend
erklärt: Die spanische Regierung hat mit ihren Maßnahen
zur gewaltsamen
Verhinderung der Volksbefragung rechtmäßig und in der
Zielrichtung
sinnvoll gehandelt, unter anderem weil das Völkerrecht
keine
Rechtsgrundlage für eine Separation liefert; die
Separatisten sind im
Unrecht.
So wie die Ansage des zyprischen Griechenführers und
damaligen zyprischen Präsidenten Erzbischof
Makarios
von 1964, die Verfassung Zyperns und ein Urteil des
zyprischen Verfassungsgerichts nicht beachten zu vollen,
den Zusammenbruch der erst 1960 gegründeten Republik
Zypern signalisierte (wenn sie denn überhaupt de jure
entstanden war - vgl. dazu die
Beiträge des Verfassers
dieser Homepage, insbesondere den
Aufsatz über die
atlantische Friedensordnung von 1964), deutet die
ungestrafte Ankündigung einer Unabhängigkeitserklärung des
Chefs der Regionalregierung Kataloniens darauf hin, dass
Spanien im Begriff ist, seine Staatsgewalt über Katalonien
aufzugeben oder zu verlieren.
Tatsächlich hat sie die Souveränität Spaniens insoweit nicht
behauptet, als sie die Separationsbewegung und ihre
Unterstützung durch die
Regionalregierung nicht wirksam unterbunden hat. Dieses
Unterlassen wirft
die Frage auf, ob sich die spanische Souveränität weiterhin auf
Katalonien
erstreckt. Das bleibt insoweit vertretbar, als die
Abstandnahme von ihrer
Ausübung sich lediglich als eine kurzfristig vorübergehende
Maßnahme
erweisen kann, um die Vorbereitung einer einvernehmlichen
Änderung der spanischen
Verfassung etwa im Sinne einer bundesstaatlichen Lösung zu
ermöglichen.
Übrigens würde durch eine Unabhängigkeitserklärung noch kein
katalonischer
Staat entstehen. Dazu bedürfte es der einer von einem
ausreichenden Teil der katalanischen Bevölkerung getragnen
tatsächlichen
Ausübung oberster Staatsgewalt zur Unterhaltung einer
staatlichen Ordnung
mit den dafür erforderlichen Organen, die sichere Aussicht
auf dauerhaften
Bestand, namentlich auf Behauptung gegenüber ihr etwa
entgegentretenden Mächten hat. Rechtssicherheit verlangt
übedies einen förmlichen verfassunggebenden Akt, der die
Grundzüge der neuen staatlichen Ordnung bekannt gibt.
Die katalonische Bewegung muss aber nicht nur aus
staats- und
völkerrechtlichen Gesichtspunkten sondern auch aus solchen
betrachtet
werden, die dem Völker- und Staatsrecht übergeordnet sind,
weil beide ihre
Grenzen haben.
Die katalonische Separations scheint von einer demokratischen
Struktur der
neu zu schaffenden Verhältnisse auszugehen.Zur Staatlichkeit
einer
Demokratie gehört aber vor allem die Selbstbehauptung
der Bevölkerung, die einen Staat trägt, als oberste Instanz
für die
Bestimmung des Schicksals dieses Staates. Noch trägt die
spanische
Bevölkerung in ihrer Gesamtheit den spanischen Staat mit dem
Willen, ihn
mit dem gesamten spanische Territorium und seiner Bevölkerung
zu erhalten.
Dabei handelt es sich um eine kontinuierlich fortgesetzte
Betätigung der
allem Staatsrecht vorausgehenden verfassunggebenden Gewalt
der Bevölkerung
Gesamt-Spaniens. Um den bestehenden, so verfassten Staat
Spanien zu
erhalten, ist sie berechtigt und verpflichtet, Spanien gegen
jede
Revolution, besonders gegen territoriale und personale
Amputation auch mit
Gewalt zu verteidigen. Der Bewegung der Katalanen fehlt der
Sinn für diese
Bedeutung von Staatlichkeit, ohne die kein Staatsrecht und
kein Recht
überhaupt wirklich gilt. Sie nimmt ihre
Separationsveranstaltungen nicht
als Revolution ernst sonder glaubt irrig, ein demokratisches
Recht auszuüben.
Ein Verlust des Sinns für Staatlichkeit ist auch anderweit
in- und außerhalb
Europas und auch in Spanien in miteinander
verbundenen Tendenzen erkennbar. Eine solche Tendenz tritt
in Brüssel als
Anspruch zu Tage, die EU wie einen (Bundes-)Staat zu regieren,
obwohl es
dafür an einer verfassunggebenden Legitimation fehlt. Die
andere Tendenz ist
die Bereitwilligkeit europäischer Regierungen, auf eigene
Entscheidungen
über Grundlagen ihrer Staatlichkeit (eine intakte Währung,
eine freiheitliche,
Haftung durchsetzende Marktwirtschaftsordnung ohne
Überschuldung oder
Integrität der Staatsbevölkerung unter Migrationsdruck) zu
verzichten.
Anstatt in Verfassungsformen eines (Staaten-)Bundes durch
transparente
Vereinbarungen oder Gesamtakte Beschlüsse zu fassen, die
von ihren
Bevölkerungen getragen werden, überlassen sie die Beschlüsse
einem unklar
verfassten, irregulären EU-Gebilde, das sie fernab der Öffentlichkeit zu
beeinflussen suchen. Die auf diese Weise geschwächte Staatsgewalt gibt
vielfachen Anlass, sie nicht ernst zu nehmen und sich übrigens auch nicht auf
sie zu verlassen. Bewegungen wie der
Brexit oder
Verfassungsänderungen in Polen und Ungarn, aber auch separatistische
Bewegungen wie in Katalonien, Schottland oder Nordirland lassen sich zum
guten Teil als - sei es instinktive - Reaktion auf diese Tendenzen erklären.
(Vgl. dazu den Beitrag dieser Homepage über
„
Die Krise der
Europäischen Union als Krise der Staatlichkeikt“.)
Freilich ist auch ein Bedarf nach Veränderung der Staatenlandschaft ernst zu
nehmen, wo Staaten die Staatsaufgaben nur noch unzulänglich wahrnehmen oder
aufgehört haben, als Staaten zu bestehen, oder wo das Leben von Bevölkerungen
in einem Staat unerträglich ist. Hat sich in solchen Fällen eine neue
Staatsgewalt in einem Territorium gegen alle anderen Territorialgewalten
permanent durchgesetzt, entsteht ein neuer Staat. Wo nicht, setzt sich die
bestehende Staatsgewalt gegen Revolutionäre durch oder es entsteht das Chaos
eines Bürgerkriegs, der solange andauert, bis sich eine Staatsgewalt
durchgesetzt hat. Daran vermag Völkerrecht nichts zu ändern.
Es ist, wie Talmon treffend formuliert hat, „ein Recht der bestehenden
Staaten, das von diesen gemacht“ ist. Wo sich kein Staat durchsetzen kann,
ist auch Völkerrecht verloren. Ein Weltsicherheitsrat, der über all und jede
Veränderung der Staatenlandschaft entscheiden soll, ist töricht, weil er die
Verhältnisse nicht besser gestalten kann oder darf als die betroffenen
Bevölkerungen, und er ist illusionär, weil er die für eine solche Aufgabe
nötige Macht nicht akkumulieren kann. Kein Völkerrecht kann die Geschichte
aufhalten. Das gilt erst recht für die lebensunfähige Frühgeburt eines
europäischen Bundesstaates. Beide sind Utopie oder ein von
Selbstüberschätzung getragener Versuch, der eher geeignet ist, Schaden zu
vermehren als abzuwenden.
Eine Bevölkerung, die im Wege einer Revolution einen Staat amputieren will,
sollte das daher nur unternehmen, wenn sie sicher sein kann,
entgegenstehende Gewalten zu überwinden, ehe in langen Kämpfen viel Blut
geflossen ist, und den neuen Staat permanent gegen alle anderen
Territorialgewalten zu behaupten. Ist diese Sicherheit gegeben, sollte die
Änderung auch friedlich möglich sein; hier haben Politiker, Diplomaten und
Juristen eine lohnende Aufgabe. Wo nicht, muss die Bevölkerung alles bis
hin zu ihrem Leben riskieren und insbesondere alle Risiken des Einsatzes
bestehender Staatsgewalt und von Bürgerkrieg oder Chaos gegen den status
quo abwägen. Diese Abwägung kann einer revolutionären Bevölkerung nicht
abgenommen werden.
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