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Hitlerjugend / Hitler-Youth
(in German language only), von/by Dr. Christian Heinze

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2015 12, redigiert 2017 11

Die Hitlerjugend war eine militärähnlich-hierarchische, uniformierte Organisation der Jugendlichen ab 10 Jahren (bis zum 14. Lebensjahr sogenanntes "Jungvolk") mit gesetzlicher Zwangsmitgliedschaft und Beitragspfliht in der deutschen nationalsozialistischen Diktatur zwischen 1933 und 1945.

In regelmäßigen Übungs-"Dienst"-Halbtagen (meist zweimal wöchentlich), sogenannten Heimabenden und unregelmäßigen mehrtägigen "Lagern" sowie bei Sonderveranstaltungen etwa an politischen Feiertagen kommandierten und unterwiesen die Führer die Jungen und Mädchen. Die Veranstaltungen fanden in Schulen, auf öffentlichen Straßen und Plätzen, in Sportarenen oder in eigenen, insbesondere früheren gesellschaftlichen Widmungen entzogenen Einrichtungen der Organisation, vielfach in Zeltlagern statt. Die Führer, deren höchsten Ränge mit jungen Erwachsenen besetzt waren, führten die Jugendlichen mit Exerzieren und militärischem oder volkstümlichem Musizieren, in Versammlungen, öffentlichen Aufmärschen und sportlichen Wettkämpfen sowie bei Spielen oder Theaterveranstaltungen in die nationalsozialistische Ideologie und Praxis ein. Neben den für Jungen und Mädchen gleichen Aktivitäten, zu denen auch allgemeine Hilfsdienste wie Sammlungen und Nothilfe gehörten, standen bei den Jungen das Exerzieren und kriegsähnliche Wettkämpfe und die Einübung in militärisch brauchbare Fertigkeiten wie Schießen, Laufen, Springen, Werfen oder die Herstellung und/oder Bedienung von Fernmeldegeräten, Mptorrädern oder Segelflugzeugen, bei den Mädchen neben dem Sport gemeinnützige Hilfsdienste im Vordergrund.

Die Ideologie verlangte Führertum, Gefolgschaft (Gehorsam), Kameradschaft, kämpferische Härte. Sie forderte absoluten Vorrang der diktatorisch definierten und bewerteten Art des Gemeinwohls und Dienstes am Vaterland vor allen anderen insbesondere gesellschaftlichen Bewertungen, Anforderungen und Strukturen, etwa der Kirchen oder Familien. Sie unterwarf damit die Jugend der Autorität der sogenannten "Partei", die mit der Revolution von 1933 zur Kern-Vollzugsorganisation der Diktatur wurde. Zur Ideologie gehörte Stärkung der Nation im militärischen, produktiven und gesellschaftlichen Bereich. Sie bediente sich der Parole "Einer für alle" zur Vorbereitung auf die Forderung von Leistungen und Opfern einschließlich des Lebens für das "Gemeinwohl". Die Ideologie schloß Feindschaft gegen die Mächte des "Versailler Diktats" von 1919 und die sie tragenden Völker ein. Dazu gehörte die Anmaßung völkischer, "germanischer" Überlegenheit sowie Rassismus und Antisemitismus, die allerdings nach Beobachtung des Verfassers im Bewußtsein der Breite der Adressaten kaum eine ernsthafte Rolle spielte. Insbesondere trat auch nur die Möglichkeit der massenhaften verbrecherischen und unmenschlichen Entrechtung, Freiheitsberaubung, Schädigung, Versklavung, Verletzung und Tötung als Juden definierter Menschen und von Angehörigen von Feindstaaten - abgesehen von den in der öffentlichen Wahrnehmung bagatellisiertn Ausschreitungen um die sogenannte "Reichskristallnacht" - zunächst nicht in den Vorstellungsbereich der Indoktrinierten. Das geschah erst, als vage Informationen über ihre tatsächliche Verwirklichung mit einiger Verzögerung gegenüber ihrem Beginn durchzusickern begannen. Das schemenhafte Wissen wurde dann unter dem Eindruck der inzwischen etablierten gewaltsamen Unwiderstehlichkeit der Diktatur und der Kriegsanstrengungen und -Not aus dem Bewußtsein verdrängt. Die Hierarchie belohnte besonders engagierte Gefolgschaft und zielentsprechende Übungserfolge mit Auszeichnungen oder Beförderungen oder bestrafte Unzulänglichkeiten und Verfehlungen. Dennoch blieben fanatische Anhänger der Ideologie einschließlich ihrer extremsten Ausprägungen eher selten.

Die weitgehende Anerkennung der Organisation der Hitlerjugend und ihrer Betätigungen in Deutschland bis in die Nähe des Endes des Zweiten Weltkrieges hinein verdankt sich einer großen Popularität alles Militärischen in weiten Teilen Europas und insbesondere in Preußen seit mindestens 150 Jahren sowie einem verbreiteten Aufbegehren gegen die Folgen der Niederlage Deutchlands im Ersten Weltkrieg. Sie verdankt sich aber auch unabhängig hiervon einem Bedarf nach existentieller Gemeinschaftlichkeit, die in Deutschland stärker entwickelt war als anderswo, und den die Organisation zu ihrem Gegenstand machte, wobei sie einerseits überholte gesellschaftliche Strukturen einebnete und andererseits unabhängig von der nationalsozialistischen Ideologie vorhandene und anerkannte Eliten und Begabungen mobilisierte und integrierte. Dafür wurde die Instrumentalisierung der Jugendorganisation zur Beeinflussung und Ausforschung der Familien und anderer gesellschaftlicher Formierungen von Vielen in Kauf genommen, zumal dort durchaus Raum für anderweitige geistige und intellektuelle Betätigung bis hin zu Widerstand vorhanden blieb. Die Jugend unter der nationalsozialistischen Diktatur verdankt der Organisation und ihren Trägern durchaus Förderung durch eine bereichsweise fortschrittliche Sozialisierung, durch Einübung körperlicher Ertüchtigung und von Disziplin sowie durch Fernhaltung von schädlichen Alternativen. Das wirkte sich bis in die Nachkriegsjahre und die Zeit des deutschen Nachkriegs- Wiederaufbaus aus. Bedeutende, welweit anerkannte Persönlichkeiten dieser Nachkriegszeit waren - zum Teil auch in Führungsstellungen - Mitglieder der Hitlerjugend gewesen. Der Preis für diese Förderung bestand allerdings in der gewaltsamen Ausschaltung, zumindest Zurückdrängung geistigen Austauschs über gesellschaftliche und politische Alternativen zur nationalsozialistischen Diktatur und schließlich im totalen Absturz Deutschlands in die menschenverachtende, wahnbasierte Hybris nationalsozialistischer Welteroberungs- und Vernichtungsanstrengungen mit ihren Folgen.

Das Schicksal der Deutschen besteht in der schrittweisen Herbeiführung einer Lage zwischen den 1920er Jahren und der Erreichung des Höhepunkts der Diktatur in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs bis zu dessen Ende, in der sie sich aus fehlgeleiteter Überzeugung verpflichtet oder bei Todesstrafe gezwungen sahen, vollen Kriegsdiensteinsatz zu leisten, ohne sich des Zusammenhangs zwischen diesem "Dienst" und den erwähnten ungeheuren Verbrechen bewusst zu sein. Gleichviel ob das als Tragik oder Schuld zu bewerten ist, wird das Gewicht dieses Schicksals dadurch vermehrt, dass der größere Teil der am politischen oder Kriegsgeschehen beteiligten Deutschen daran glaubte, dem Vaterland pflichtgemäß zu dienen. Wer ihnen oder ihren Kindern oder Kindeskindern das bei Anlegung von Maßstäben, die er allgemein gelten lässt, zum persönlichen oder auch kollektiven Vorwurf machen will, der hebe den erstbesten Stein auf.


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