"Fehlerkultur" - Permissivität und die Auflösung von Verantwortung.
Von Dr. Christian Heinze
Eine sub-page zur Seite: pro-re-publica.eu
2018 06 16
Die Überschrift "Fehlerkultur" drückt aus: Fehler sollen als Normalität und als schwer vermeidbar wahrgenommen werden. Wegen der erforderlichen Anstrengungen zur Fehlervermeidung sollen Einzelne und Gesellschaft beruhigt und eher entlastet werden. Die Vorwerfbarkeit von Fehlern soll eingeschränkt werden oder möglichst wenig Konsequenzen für den Urheber haben, ihn nicht allzusehr diskreditieren, seine Entschuldigung soll zumindest erleichtert werden. Womöglich sollen Fehler positiv bewertet, eben "kultiviert" werden.
Ein Grund liegt in einem Auseinanderklaffen der laufenden Erhöhung der Anfälligkeit
von Wissenschaft und Technik für
Fehler als Folge ihres Fortschritts, insbesondere der damit verbundenen Quantität
der Fehlerquellen und Komplexität der Bedingungen für ihre Vermeidung, und der
Quote der Vermeidung von Fehlern durch den Menschen. Jeder Fortschritt
bringt neue
Gefahren durch neue Fehlerquellen. Die Öffnung der "Schere" kann darauf
zurückgeführt werden, dass Vermeidung und Bewältigung von wissenschafts- und
technik-immanenten Fehlerquellen durch den Einzelnen und die Gesellschaft mit dem
Fortschritt nicht schritthält oder sogar
abnimmt. Gefahren und Fehler müssen bewältigt werden, um Gesellschaft und Einzelne
vor Schaden zu bewahren. Die mit wissenschaftlichem und technischem Fortschritt
verbundene Vermehrung und Komplexität der Fehlerquellen erfordert zu diesem Zweck
eine Anpassung der Fähigkeiten und Anstrengungen des Einzelnen und der
Gesellschaft. Die Öffnung der "Schere" kann
daher auch darauf zurückgehen, dass die Fähigkeit und Bereitschaft
der Menschen zur Fehlervermeidung und zur Entwicklung dieser Fähigkeit und
Bereitschaft mit dem Fortschritt nicht schritthält oder sogar
abnimmt.
Der Schlüssel zur Schließung der "Schere" liegt im Bewusstsein des Einzelnen,
aus dem sich Verantwortung und damit Motivation für die erforderlichen
Anstrengungen entwickeln sollte. Diese Entwicklung sollte durch Erziehung
(Elternhaus, Schule, Gesellschaft - auch in Gestalt der staatlichen Instanzen)
gefördert werden. Das Bewusstsein und die
Motivation wird durch die Gesellschaft maßgeblich beeinflusst.
Gesellschaftliche Betonung der Normalität von Fehlern, ihre Einordnung als
Gegenstand von Kultur läuft der Deckung des Bedarfs an Verantwortung und
Motivation des Einzelnen und der Gesellschaft
für Anstrengung zur Vermeidung von Fehlern zuwider.
Es ist
kontraproduktiv, die Diffamierung von Fehlern durch Betonung der Tatsache
zu relativieren, dass man durch Fehler klug wird. Learning by doing kommt
nicht selten zu spät, um Schäden zu vermeiden.