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Stand 2014 10 06 - 12 29

Der europäische Traum vom Frieden.
Ein Artikel von Herfried Münkler nebst Rezension von Volker Gerhardt, Professoren an der Humboldt-Universität Berlin.
NZZ vom 23. und 30.9.2014

Münkler unterscheidet zwischen dem „imperialen“ Frieden (Augustus) und „politischen Frieden“ (Jean-Jaques Rousseau, Immanuel Kant) sowie Frieden als Ergebnis gesellschaftlicher Evolution (Auguste Comte, Herbert Spencer), die Gewalt durch Arbeit ersetze. Aus dem Traum vom Frieden ist nach dem Ersten Weltkrieg das Projekt eines Kriegsverhinderungs- Völkerrechts hervorgegangen. Kriege seien Spezialität totalitärer Regime geworden. Im übrigen tritt an die Stelle des Feldzuges heroischer Gesellschaften, die singend ins Feld marschierten, Krieg als Polizeiaktion, Protektion. Ausstattung und Infrastruktur macht spätindustrielle Gesellschaften mit ihrer gesunkenen demographischen Reproduktionsrate hochverwundbar. Mit religiöser Erkaltung und Erosion von Nationalismus und Ideologien als quasi-Religionen entfällt Sinnstiftung für das Opfer und für Heroisierbarkeit der Gesellschaft. Es drohen aber Zukunftskriege um knappe Ressouorcen. Am Frieden orientierte Mächte sind bereits mit Gewaltbildern erpressbar. Zerfallskriege fordern Frieden heraus, Europa reagiert unsicher und widersprüchlich. Jihadismus tritt auf. Mit Bereitschaft zur Zahlung von Friedensprämien an Friedensfeinde droht Selbstzerstörung des ewigen Friedens.
Anmerkungen
Im Jihadismus und anderen Friedensstörungen ist Religion nach wie vor sinngebend. Die griechisch-zyprische Aggression von 1950 ff. war erste Warnung nach dem Zweiten Weltkrieg für Aufleben religiöser und nationalistischer Sinngebung. Solche Aggressionen sind wohl nicht besiegbar ohne Bereitschaft der betroffenen Bevölkerungen, die zur Zeit millionenfach fliehen, mit ähnlicher Opferbereitschaft wie die Aggressoren staatliche Gewaltmonopole zu errichten und zu unterhalten. Zu Unrecht so genanntes Völkerrecht kann sie dabei behindern.

In der NZZ vom 30.9.2014 erschien eine Rezension zu Herfried Münklers "Europäischem Traum vom ewigen Frieden" von Volker Gerhardt (Professor für praktiche Philosophie, Rechts- und Sozialphilosophie an der Humboldt-Universität Berlin). Gerhardt fragt, ob man im Ernst etwas derart gefährdetes wie den Frieden und mit ihm Freiheit Rechtssicherheit und Demokratie zu den konservativen (ja ultrakonservativen) Beständen rechnen darf. Er wirft Münkler mindestens indirekt vor, die Lehren von Konfuzius, Buddha, Zarathustra, Solon, Platon, Sokrates, Cicero, Erasmus, Rousseau und Kant und die Konzeption der (kosmopolitischen) Humanitas samt demokratischem Parlamentarismus, Recht und insbesondere internationale Rechtsordnung zurückzusetzen. Was aber Münkler als ultrakonservativ erscheinen läßt ist nicht der Frieden sondern der Traum davon, zu dem das Völkerrecht beiträgt. Gerhardt unterschätzt wohl die Hinweise Münklers und vielleicht auch des "Realismus der Bellizisten" auf gegenwartstypische, höchst brisante und neue Gefahren für den Frieden.