Krise der Staatlichkeit, der Gesellschaft und der Wirtschaft
(in German language only)
von/by Dr. Christian Heinze Eine subpage zur Seite: / A Subpage to the Page:
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2016 09 03 - 10 13, redigiert 2018 12 08
Krise der Staatlichkeit.
I.
Der Staat als höchste, tatsächlich ausgeübte Gewalt
zur Ordnung eines bestimmten Territoriums und der darin lebenden Bevölkerung
ist nicht Garant, aber Voraussetzung für Frieden im Innern und nach
außen. Ohne Verminderung der Friedenschancen kann seine höchste Ordnungsgewalt
über das Land und seine den Staat tragende Bevölkerung nicht aufgelöst oder
aufgegeben werden, wenn keine andere Staatsgewalt an seine Stelle tritt.
Staatsgewalt
ist grundsätzlich unbeschränkt (Souveränität) und nur Gegenstand staatlicher
Selbstbeschränkung bis zur Grenze der Selbstaufgabe als Staat durch
Vernachlässigung der Ordnungsaufgabe, durch Beendigung der staatstragenden
Funktion der Bevölkerung oder durch Aufgabe von Territorium. Zwar
können auch Staaten, etwa als Hegemonialmächte oder kraft Vertrages bestimmte
Verhaltensweisen anderer
Staaten tatsächlich erzwingen oder unterbinden, ohne dass dies den Untergang
der letzteren zur Folge hat. Zerstören sie jedoch den
Kernbestand der Staatsgewalt, so müssen sie sich selbst oder andere Staaten an
die Stelle der zerstörten Staaten setzen, um nicht mit Bezug auf das betroffene
Territorium den Staat als Friedensvoraussetzung aufzugeben.
Staaten können sich zu Bundesstaaten zusammenschließen.
Die Mitgliedstaaten des Bundesstaates überlassen diesem die wichtigsten Teile
der Staatsgewalt (zum Beispiel die Entscheidung über Krieg und Frieden, die
Außenpolitik, die Gesetzgebungskompetenz über die wichtigsten Gegenstände) im
Gegenzug gegen Beteiligung an der Willensbildung des Bundesstaates und unter
Vorbehalt bestimmter Kompetenzen zur Ausübung von Staatsgewalt. Eine
Übertragung oder ein Verlust von Hoheitsrechten der Mitgliedstaaten über die
Grenze hinaus, die ihr durch die Mindestbedingungen der Staatlichkeit gesetzt
sind, hat zur Folge, dass der Bundesstaat in einen Einheitsstaat übergeht und
die Gründerstaaten ihre Staatsqualität verlieren. Haben etwa die
MMitgliedstaaten das Recht zum Austritt aufgegeben, so liegt kein Bundesstaat
mehr vor, der Staat kann aber wie ein Bundesstaat verfasst sein und wird dann
oft, wie die Bundesrepublik Deutschland, (genau genommen unzutreffend)
weiterhin als Bundesstaat bezeichnet.
Staaten können auch Staatenbünde aller Art eingehen, indem sie
Vereinbarungen über die Ausübung ihrer Staatsgewalt treffen. Auch können
verbundene Staaten Teile ihrer Staatsgewalt in Gestalt der Kompetenzu zu
verbindlichen Entscheidungen oder Gesamtakten mit Bezug auf einen beschränkten
Kreris von Gegenständen auf gemeinschaftliche Organe
übertragen, solange sie ihre Oberhoheit über einen Kernbestand der
staatsbildenden Gewalt nicht verlieren. Staatenbünde werden durch Verlust der
Staatlichkeit ihrer Mitgliedsländer gegenstandslos, wobei ein Bundesstaat
entstehen kann. Solche Kompetenzen eines Staatenbundes bedürfen der Grundlage
in einer nach Inhalt, Zweck und Ausmaß präzise bestimmten Einigung über
bestimmte Verhaltensweisen oder auf ein Verfahren zu ihrer Bestimmung. So
wünschenswert es sein mag, an Stelle eines Bundes einen Staat zu gründen, kann
es keine Art staatsähnliches Zwischengebilde geben, eine oberste und im
wesentlichen unbeschränkte Staatsgewalt ist für den Staatsbegriff
unentbehrlich.
II.
Die reale Staatlichkeit befindet sich in einer weltweiten
Krise. Während die Gewährleistung von Weltfrieden davon abhängt, dass
alle bewohnten Gebiete der Erde von intakten Staatsgewalten erfasst sind, gibt es
Räume, für die keine Staatsgewalt gebildet oder in denen sie sich auf dem Weg in
die Auflösung befindet oder bereits zusammengebrochen ist. In diesen Gebieten
herrscht oder droht Gewalt und Zerstörung innerhalb ihrer
Bevölkerung und zwischen deren Gruppierungen, die die Mindestvoraussetzungen für
Staatlichkeit nicht erfüllen und daher zur Gewährleistung von Frieden nach innen
oder außen nicht ind er Lage sind. Die Gewalt und Zerstörung
wird vermehrt durch Beteiligung gebietsfremder Mächte an der Gewaltausübung der
Bevölkerungen, solange nicht die Etablierung einer Staatsgewalt über das Gebiet
gelingt.
Die Krise der Staatlichkeit zeigt sich auch in der Krise der Organisation
der Vereinten
Nationen (UN), die sich als Staatenbund mit hegemonialen Elementen zu
bewähren sucht. Die Organisation ist nützlich und notwendig, um auf gemeinsames
oder vereinbartes Handeln möglichst aller der Staaten im übergeordneten Interesse
und insbesondere zur Erhaltung oder Schaffung von Frieden in der Welt zu fördern.
Zu diesem Zweck wäre auch die Bündelung von Staatsgewalten wünschenswert, soweit
ihre zweckentsprechende Entfaltung kontrolliert wird. Sie ist in der UN-Satzung
in der Form des Weltsicherheitsrates vorgesehen, indem die stärksten Staaten der
Welt gemeinschaftliche hegemoniale Gewalt ausüben sollen. Soweit aber die UN über
alle ihre erfolgreichen friedensförderlichen Bemühungen hinaus beansprucht, über
die Zulässigkeit staatlichen Verhaltens verbindlich zu entscheiden, Prätendenten
von Staatsgewalt über Territorien Hoheitsrechte zuzuweisen oder abzusprechen oder
auf die Bildung von Staatsgewalt gerichtete Mächte infrage zu stellen oder zu
bekämpfen, ohne über die Macht zu verfügen, ihre Ansprüche mit Sicherheit
weltweit, zuverlässig, permanent und gleichmäßig durchzusetzen, ist ihre Aktivität
eher geeignet, Unfrieden als Frieden zu fördern. Das gilt auch und isbesondere
für die Ausübung hegemonialer Macht der UN, die zwar auf Reformen hinwirken, den
Kernbestand realer Staatsgewalten aber nicht schaffen und nur um den Preis eines
Verzichts auf Staatsgewalt (als einzige zur Schaffung von Frieden geeignete
Einrichtung) ersatzlos zerstören
kann. Die Illusion eines „Weltstaates im Werden“ bewegt sich noch im Raum der
Utopien, und es ist schädlich, in sie reale Erwrtungen zu setzen oder zu fördern.
Die Krise des Staates zeigt sich ferner in der Krise der Europäischen Union
als Staatenbund. Sie ist Gegenstand des Beitrags der vorliegenden Seite
PRO RE PUBLICA zur
Krise Europas.
Krise der Wirtschaft.
Unter "Wirtschaft" wird hier der Inbegriff der Veranstaltungen der Menschen
zu Deckung des Bedarfs an Gütern und Leistungen verstanden.
Eine national und international geordnete Produktion und Verteilung von
Gütern und Leistungen ist Voraussetzung für weltweiten Wohlstand und Frieden
. Der Kampf um diese
Ordnung zwischen den Ideologien liberaler Steuerung von Produktion und Verteilung
durch freies Angebot und freie Nachfrage einerseits und sozialistischer Steuerung
durch obrigkeitliche Maßgaben andererseits ist mit dem Niedergang der Sowjetunion
nicht erledigt. Er befindet sich weltweit im vollen Gange.
In Europa scheint er mit Hilfe der Gründung der europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft zur Schaffung eines gemeinsamen
Marktes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit fortgeschritten zu sein.
Sie war auf einen Ausgleich der Ideologien durch Einführung einer
sozialen Marktwirtschaft gerichtet. Soziale Marktwirtschaft hatte sich durch
das misslungene sowjetische Experiment und den gelungenen deutschen Wiederaufbau
historisch als überlegen erwiesen. Ihr Ausgleich ist zugleich mit
Wohlstands-Maximierung möglich, wenn obrigkeitliche Interventionen die Kapazität
der Marktwirtschaft zur Gewährleistung der erforderlichen Produktion nicht
beschädigen sondern sich auf den Ausgleich von Verteilungsfehlern beschränken,
wie sie bei Anlegung allgemein akzeptierter gesellschaftlicher Maßstäbe
festzustellen sind.
Die Auseinandersetzung um autonome oder heteronoe Verteilung
ist jedoch auch nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Planwirtschaft nicht
überwunden. Im Zuge ihres illusorischen Strebens nach einer gesamteuropäischen
Staatlichkeit und unter dem Druck der im herrschenden Kampf um Marktwirtschaft
oder Sozialismus und um den Fehlgebrauch und Missbrauch beider Grundordnungen
engagierten Interessen verfolgt die gegenwärtige (2017) Politik der EU einen
Kurs in Richtung
auf obrigkeitliche Steuerung. Diese von der wirklichen europäischen Einigung
abgehobene Politik entbehrt eigener, authentischer Legitimation und entfernt sich
von einer Grundlage in der ihrerseits nicht mangelfreien demokratischen
Legitimation der Mitgliedstaaten. Die interventionistische Wendung der EU-Politik
steht in Wechselwirkung mit parallelen Tendenzen in den Mitgliedstaaten. Im Zuge
einer allgemeinen Aufweichung der Verbindlichkeit von Verträgen und Gesetzen sowie
von Verantwortlichkeiten und Haftung führt die Entwicklung der EU und ihrer
Mitgliedstaaten trotz bisher unübertroffenen allgemeinen Wohlstandes auch zu
einer Belebung des grundlegenden ideologischen Konflikts und zu leichtfertigen
Beschädigungen der Grundlagen sozialer Marktwirtschaft. Mängel der Staatsgewalten
im Verein mit einer nicht nur unabhängigen sondern auch von Verantwortung freien
Politik europäischer Institutionen haben Unzulänglichkeiten der Bewältigung dieses
Konflikts unter anderem durch eine allgemeine Überschuldung kompensiert, die die
wirtschaftlichen Grundlagen der Staatsgewalten erschüttert. Da die Überschuldung
nicht ohne Verletzung von Grundlagen der Staatenvereinigung und nationaler
Verfassungen möglich war, die von den höchsten Gerichten der Gemeinschaft und
eispielsweisse des Bundesverfassungsgerichts geduldet wurden, erschüttert sie auch
das Vertrauen in die Ordnungskraft internationaler Verträge und nationaler
Rechtsordnungen.
Krise der Gesellschaft.
Die nicht nur unausweichliche sondern einem humanistischen Ideal entsprechende
Globalisierung führt zur Bildung einer weltweiten menschlichen Gesellschaft, an
deren Anfängen wir stehen. Grade am Anfang der Entwicklung ist die Bildung von
Zielvorstellungen für diese Gesellschaft als Grundlage für Bemühungen aller Art
erforderlich.
Ein ausreichendes Mindestmaß an Übereinstimmung der Menschen über die
wichtigsten materiellen und geistigen Normalitäten des Zusammenlebens und ein
entsprechender Zusammenhalt ist Grundlage auch für Frieden und
Wohlstand in der Welt. Ein höheres Maß an Integration ist im
Begriff der Beherrschung einer definierten Bevölkerung als Merkmal des
Staates als Friedensordnung eingeschlossen. Ein Mangel daran führt zu Lähmung
und Unzufriedenheit
bis hin zu Unfrieden, Gewalt und Umsturz. Das betrifft eine ausreichende
Übereinstimmung über ein ausgewogenes Verhältnis von Bildung, Arbeit, Leistung,
Sparen, Besitz, Wettbewerb, Führung, Gemeinsinn und Patriotismus zu Vergnügen,
Genuss, Freiheit,
Individualität und Konsum und über die Art und Weise der
Zweckverfolgung, insbesondere der Staatswillensbildung. Das betrifft die
Wirksamkeit von Integrationsfaktoren, wie beispielsweise gemeinsamer Ausübung
derselben oder unterschiedlicher Religionen.
Das Konzept einer weltweiten sozialen
Marktwirtschaft, die freilich auch Entscheidungen für weniger Konsum als Preis für
mehr Freiheit durch geringere Leistungsanforderungen (mit der Folge geringeren
„Wachstums“) akzeptieren muss, bietet - zunächst zumindest für Industrieländer -
eine ideale
Vorlage für eine Einigung der Gesellschaft, erlaubt aber Variationen. Forderungen
nach obrigkeitlichen Eingriffen an Stelle autonomer Anstrengungen beruhen nicht
selten auf Resignation bereits gegenüber dem Versuch einer Einigung. Ein durch den
Bündniszweck bestimmter Grad an Integration ist auch für Effektivität von
Staatengemeinschaften erforderlich. Selbst innerhalb einer fortgeschrittenen
Bevölkerungsgruppe wie derjenigen
der Europäischen Union bestehen Unterschiede und
Konflikte bis hin zu gesellschaftlichen Gegensätzen. Es treten
nationale Besonderheiten hinzu.
Die erforderiche weltweite Mindest-Integration
setzt zuerst allgemeine Versorgung mit Wohnung, Erwerbsgelegenheit und Kommunikation
voraus. Sie besteht darüber hinaus in einer sachlichen Feststellung der Unterschiede,
einer Analyse ihres Konfliktpotentials, insbesondere des Niveaus
gemeinschaftsverträglicher Konflikte, und der Aufsuchung, Entwicklung und Realisierung
von Möglichkeiten und Maßnahmen zur Versöhnung, zur Reduktion oder zum Ausgleich von
Unterschieden. Dabei ist Einebnung nur beschränkt möglich oder wünschenswert. Auf Grund
eines tiefen Gefühls der Gemeinsamkeit können gerade auch Unterschiede integrative
Wirkungen
haben. Integration kann keiner Eigendynamik überlassen werden, denn das
Integrationserfordernis duldet keinen Aufschub. Selbat in Europa fehlt es aber nicht
nur an
Integrationsbemühungen sondern schon am Bewusstsein des Bedarfs. Die Europäische
Gemeinschaft ist Schauplatz anfangs erfolgreicher
Problembewältigung. Ihr Niedergang sollte Anlass geben zur Aufsuchung,
Erkenntnis und Berichtigung von Fehlentwicklungen anstatt zu Festhalten
an einer Hybris kollektiver Selbstüberschätzung an Hand eines Verlusts
politischen Grundlagenbewusstseins.